Konzert in Berlin von Bonaparte: Anarchie statt Abschiedsstimmung
Mit einem letzten Auftritt verabschiedete sich der Musiker von seinen Fans. Begleitet wurde er dabei von treuen Weggefährt*innen.
Es sollte ursprünglich nur eine Sache für eine Nacht sein. Einmal auf die Bühne, einmal in der Bar25 in Berlin auftreten und das war’s. Aus einer Nacht wurden 13 Jahre. Tobias Jundt trat als Bonaparte, mal allein, mal mit bis zu einem Dutzend Künstler*innen, überall auf: beim Lollapalooza und beim Southside, auf dem Electronic Beats Festival in Prag oder dem South by Southwest Festival in Austin/Texas.
Und jetzt endet alles mit einer Nacht. Genau genommen zwei, denn das erste letzte Bonaparte-Konzert am Samstag war so schnell ausverkauft, dass ein zweites am Sonntag nachgelegt wurde. Das war es dann aber: der allerletzte Bonaparte-Seufzer überhaupt im Festsaal Kreuzberg in Berlin.
Früher stand Bonaparte für Ekstase, Eskalation. Da tanzten in Blut gebadete Nonnen zu hedonistischem Bluespunk, der von einer extravagant kostümierten Band gespielt wurde. Spätestens mit dem 2019 erschienenen Album „Was mir passiert“ gehört diese bacchantisch-apokalyptische Partyattitüde der Vergangenheit an. Der Schweizer Jundt singt inzwischen auf Deutsch von nichts Geringerem als dem Sinn des Lebens, der Liebe und der Melancholie zwischen den Momenten. Ein Augenzwinkern ist aber immer dabei – eine schräge Metapher, ein schiefer Ton.
Auf die Bühne kommt Jundt am Sonntag mit der Ballade „Melody X“, die schon so nach Abschied klingt, dass das Publikum in Gänsehaut erstarrt. Es ist das „worst case scenario lullaby“, wie es in dem Song heißt. Doch schon zehn Minuten später ist alles vergessen: Bei der Hymne „Anti Anti“ herrscht Anarchie statt Abschiedsstimmung.
Rumpelstilzchen beim Barrikadenkampf
Es wird getanzt, gehüpft und gegrölt – Rumpelstilzchen beim Barrikadenkampf. Auf der Bühne wird es voll: Neben Jundt und Band posiert lasziv ein Paar in Glitzerfracks und Ledertangas mit riesigen schwarzen Ballons.
Bonaparte hat sich zwar verändert, aber nicht selbst vergessen. Er war, ist und bleibt Anarchie in weißen Boxerstiefeln. Es gibt zwar immer wieder ruhige Momente wie beim gefühlsschwangeren „Château Lafite“, aber die meiste Zeit ist die Bühnenshow „Too Much“.
Die Performances scheinen direkt aus den schönsten Alpträumen entsprungen. Eine Dame im Badeanzug mit Leopardenprint reitet auf einem aufblasbaren schwarzen Schwan über die Menge. Ein barbäuchiger Mann häutet sich genüsslich aus einem halben Dutzend Unterhosen, bis nur noch ein Tanga bleibt.
Alte Weggefährt*innen Jundts defilieren vor dem Publikum: der Nouchi Clan, mit dem Bonaparte sein letztes Album im ivoirischen Abidjan aufgenommen hat; Kid Simius, für ein Revival von „Mule & Man“; Bandmitglieder, die teilweise seit einem Jahrzehnt nicht mehr mit Bonaparte performt haben. Jundt ist kein Mann großer Worte, sondern einer des Volkes. Er spricht nur, um den nächsten Gast anzukündigen. Dafür sucht er den Kontakt: In halsbrecherischen Manövern wagt er sich ins Publikum vor.
Schampus spritzt, alle Hüllen fallen
Und die Berliner*innen helfen ihm, leiten das Mikrofonkabel von Hand zu Hand weiter, sodass er auf der Menge liegend weitersingen kann. Der Weg zurück gestaltet sich schwieriger, der hinter die Bühne unmöglich: Sobald Bonaparte Anstalten macht zu gehen, fordert das Publikum noch eine Zugabe.
„Anti Anti“ wurde schon zwei Mal gespielt, mit „Ins Herz geschlafen“ hatte es schon den perfekten Abschiedssong gegeben („Es war doch immer klar, um was es ging / Ich war dein Koks und du mein Ketamin“) und trotzdem ist es nicht genug. Der Horse-Man übernimmt den Taktstock, es wird Schampus gespritzt und alle Hüllen fallen. Jundt zeigt nochmal den ganzen Zauber von Bonaparte, der immer darin bestand, dass es nicht um ihn ging.
Es ging um Weltoffenheit, Grenzenlosigkeit. Dafür stehen auch die Künstler*innen, die etwas zum Konzert beigetragen haben: von Kid Simius aus Spanien über den Nouchi Clan von der Elfenbeinküste bis zu Tom Fite aus dem kalifornischen Sacramento. Ihnen allen dankt Jundt persönlich. „Ich war nie ein guter Redner“, sagt er dann, „und das war jetzt genug Gerede für die nächsten zehn Jahre.“
Stattdessen singt er noch mal – „Into the Wild“ – bevor er endgültig von der Bühne verschwindet und den letzten Applaus seiner Gitarre widmet. Man hätte sich keinen perfekteren letzten Auftritt wünschen können. Trotzdem hofft man, dass er das nicht war.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt