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Konzepte des UrbanismusKein Stadtviertel wird zurückgelassen

Verwahrlosen die Menschen, freuen sich die Populisten. Beim Streit um die Stadt stehen grundsätzliche Werte und Ideale zur Disposition.

Ein mit Graffiti übersätes Boot in der verlassenen Fabrikanlage Packard Motor Car in Detroit Foto: reuters

Der Streit um Bauen und Städte entzündet sich zwar an einzelnen Orten: ein Haus vor dem Abriss retten, einen Acker gegen Neubaupläne schützen, einen überteuerten Bahnhof bekämpfen. Doch hinter diesen scheinbar vereinzelten Diskussionen stehen grundsätzliche Werte und Ideale, die man mit einem Gegensatz beschreiben kann – amerikanisch oder europäisch.

Diese Begriffe wenden sich nicht gegen die Amerikanerinnen und Amerikaner, nicht gegen die Menschen, die in den USA leben, sondern „amerikanisch“ benennt Entwicklungen, die dort bereits seit Jahrzehnten die Städte zerstören und das Zusammenleben verschlechtern und die dazu beitrugen, dass sich viele von den Parteien und vom Staat verabschiedet haben. Eines der schlimmsten Beispiele für den Niedergang der amerikanischen Städte ist Detroit.

Dort sank die Zahl der Einwohner von 1,85 Millionen auf etwa 700.000, Zehntausende Häuser stehen leer, andere wurden abgerissen, und so gibt es mitten in Detroit sogar wieder Äcker und Wildtiere. Mit den in den USA üblichen Begriffen kann man sagen: Fast nur Schwarze leben heute in der Innenstadt von Detroit, fast nur Weiße in den Vororten rundherum.

Diese scharfe Trennung nach Hautfarbe ist auch eine Folge beinahe panikartiger Reaktionen: Sobald in einer Straße einige Nichtweiße zuziehen, ziehen die ersten Weißen weg, und innerhalb weniger Jahre wechselt nahezu die gesamte Einwohnerschaft – wegen Vorurteilen und Rassismus und aus Angst davor, das Stadtviertel kippe auch sozial und es verschlechtere die Chancen der Kinder, die dort aufwachsen. Neben der Hautfarbe prägt auch die soziale Spaltung die amerikanischen Städte; Wohlhabende verschanzen sich in abgesperrten Siedlungen, den „gated communities“, während manche Stadtviertel zu No-go-Areas werden, wo man angesichts häufiger Verbrechen besser nicht hingeht.

Zwischen den Extremen

Irgendwo zwischen diesen Extremen liegen die amerikanischen Vororte, etwa Macomb County nördlich und Monroe County südlich von Detroit. Dort wohnen die Arbeiter der Autohersteller Ford und General Motors, sie fürchten um ihre Arbeitsplätze, mancher fürchtet den Zuzug von Schwarzen in sein Wohnviertel, mancher will aus Vorurteilen heraus nicht von einer Frau regiert werden, und sie wählten 2012 mehrheitlich Obama, aber diesmal Trump.

Auch in Deutschland gingen Arbeitsplätze in der Industrie verloren, in Werften und Zechen. Doch bemühten sich Politik und Verwaltung, den sogenannten Strukturwandel abzufedern, und viel Geld und Ideen flossen zum Beispiel ins Ruhrgebiet, das heute allen Problemen zum Trotz weit entfernt ist von Zuständen wie in Detroit. In Berlin wurden von Arbeitern geprägte Viertel wie Kreuzberg seit den 1980er Jahren saniert und stehen heute beispielhaft für den Charme europäischer Städte mit ihren vielen Kulturen und Bewohnern verschiedener Herkunft.

Doch lassen sich auch hier amerikanische Tendenzen beobachten: Auch in Berlin gibt es das beinahe hysterische Bemühen von Eltern, ihre Kinder auf eine „gute“ Schule zu schicken, und gemeint sind damit Schulen mit fast nur „biodeutschen“ Kindern. Übrig bleiben dann Schulklassen mit fast hundert Prozent „nichtdeutscher Herkunft“, insbesondere diejenigen, deren Eltern oder Großeltern als sogenannte Gastarbeiter nach Deutschland kamen.

Wenn aber in diesen Schulen und in den Stadtvierteln die Mischung nach sozialer Schicht und nach Herkunft fehlt, dann fehlt auch Ahmed der Mitschüler Patrick, der ihm beim Deutschlernen hilft, während er sich vielleicht bei Mathematik revanchieren kann und alle zusammen Fußballspielen.

Unsere Art des Bauens fördert Spaltung

Unsere Art des Bauens fördert solche Spaltung der Städte: Jedes neue Wohngebiet vor der Stadt und jedes luxuriöse Wohnquartier in der Stadt lockt die Besserverdiener an. Und jede neu gebaute Unterkunft, die ausschließlich fünfhundert Flüchtlinge aufnimmt, bildet nach Herkunft getrennte Stadtquartiere, genauso wie in den schlechtesten Beispielen misslungener Integration von Migranten und ihren Kindern.

Nicht nur die soziale Spaltung gilt als typisch amerikanisch, sondern auch die funktionale nach Arbeiten, Wohnen und Einkaufen mit Shopping-Malls, Gewerbeparks und endlosen Eigenheimvororten. Sie zeigen uns drastisch, was wir in europäischen Städten bewahren sollten, was aber durch Bauwut bedroht ist. Jedes neue Shopping-Center und jeder Bau- oder Möbelmarkt zerstört die alteingesessenen Händler der Stadtzentren und Stadtteile und lässt auch hierzulande Straßen veröden.

In „amerikanisierten“ Städten fühlt man sich nicht wohl. Das ist auch eine Frage des Stadtbildes und der Architektur: europäische Städte zeichnet es aus, ihre Geschichte zu zeigen und alte Häuser zu bewahren. Anstelle einer Ex-und-hopp-Mentalität von Abriss und Neubau bildet es einen der Werte unserer Städte, verschiedene Zeitschichten zu erhalten.

Darum hilft nicht nur der Denkmalschutz europäischen Städten, sondern der Respekt für sämtliche Formen des Gebauten, sogar diejenigen, die einem schlicht oder sogar hässlich vorkommen. Willkommensstädte bieten eine Vielfalt von Häusern und Stilen für eine Vielfalt von Menschen, die zusammenhalten.

Einig in erzwungener Nähe

Der scheidende Präsident Barack Obama legte besonderen Wert darauf, den geschwundenen Zusammenhalt der amerikanischen Gesellschaft wieder zu stärken: „E pluribus unum“, so zitierte er oft den Leitspruch, der sich auf jeder Ein-Dollar-Note findet, oder auch „out of many: one“, also aus den Vielen solle das Eine, das Einigende hervorgehen. In Deutschland gelang es schon einmal, mit einer außergewöhnlichen Leistung Einigkeit zu schaffen, und zwar nach dem zweiten Weltkrieg.

Über zwölf Millionen Flüchtlinge und Vertriebene wurden integriert. Das gelang teilweise durch erzwungene Nähe: So wurden Millionen Menschen kurzerhand in leere Zimmer einquartiert und zu neuen Mitbewohnern. Bei so viel Nähe ergaben sich beste Chancen, die Gewohnheiten der anderen kennenzulernen, sich über Schulen und Vereine auszutauschen, über Ausbildung und Arbeit.

Niemals seitdem mischten sich soziale Schichten in Deutschland so sehr wie in der Nachkriegszeit. Bei den Wohnorten der sogenannten Gastarbeiter und ihrer Kinder und Enkel gelang das schon schlechter. An diese Erfahrungen sollten wir ebenso denken wie an das schlechte amerikanische Vorbild, wenn wir heute durch unsere Städte wandeln. Denn die stehen vor einer großen Herausforderung, die sich sogar an aktuellen deutschen Wahlergebnissen ablesen lässt: der regionalen Ungleichheit.

Während in Deutschland ein gutes Dutzend Schwarmstädte teils rasant wachsen, schrumpfen gleichzeitig große Regionen, und zwar nicht nur im Osten, sondern auch in ländlichen Regionen wie Sauerland und Eifel, Nordhessen und Nordfriesland, Bayerischem Wald und Schwarzwald. Junge Menschen ziehen in die vermeintlich coolen Metropolen Berlin, Hamburg und München und in Universitätsstädte, dort werden Wohnungen knapp und wir bauen der Nachfrage hinterher, ohne sie je befriedigen zu können.

Neustart für schrumpfende und unterschätzte Städte

Aber aus einigen verkannten Großstädten ebenso wie aus Hunderten Kleinstädten ziehen die jungen Leute weg und hinterlassen alte Menschen, leere alte Häuser – und Protestwähler. Die besten Ergebnisse erzielte die AfD bei der baden-württembergischen Landtagswahl 2016 in schrumpfenden Gegenden im Nordschwarzwald und in einst industriell geprägten Städten wie Pforzheim und Mannheim. Deren Probleme mögen gegenüber Detroit verblassen, aber der Gegensatz wird klar, wenn man anschaut, wo die AfD besonders schwach abschnitt: in Freiburg und Karlsruhe, Stuttgart und Tübingen, den am stärksten wachsenden Städten.

Genau dorthin würde viel Geld fließen, wenn man mit einer Sonderabschreibung Neubau fördert, wie derzeit diskutiert wird; mehr als zwei Milliarden Euro Steuern würde das kosten. Mit diesem Geld könnte man stattdessen ein Wiederbelebungsprogramm für schrumpfende Städte und unterschätzte Orte starten. Es würde zeigen, dass Deutschland kein Stadtviertel aufgibt und erst recht keine ganzen Städte und Regionen. Wenn wir uns darin einig sind, die europäische Stadt zu schützen, dann sollte das gerade jetzt für die schrumpfenden Orte gelten – damit uns amerikanische Wahlergebnisse erspart bleiben.

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3 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Ein gelungener Artikel. Insbesondere der Teil zum Städtebau und zur europäischen Stadt.

     

    Der folgende Teil :

    "Wiederbelebungsprogramm für schrumpfende Städte "

     

    finde ich recht lapidar und betrachtet das Bauen zu isoliert und nicht als Folge von Arbeitsplatzverlagerung.

     

    Wie sollte sich gegen den allgemeinen Verstädterungstrend gestellt werden?

    Ist das überhaupt wünschenswert?

    Was sagt die Forschung dazu? Welche Auswirkungen haben neue Info-Technologien etc.?

  • ...nur das Sanieren in Berllin wäre nicht so stark nötig gewesen, bunt und ranzig wohnt es sich immernoch am schönsten...ansonsten ein formidabler Artikel, erinnernd an die Le Monde.

  • Gelungener Artikel, danke dafür.