Kontroverse Diskussion über Islamreform: „Deutschen Islam“ wird es nie geben
In einer Berliner Moschee verteidigt Abdel-Hakim Ourghi seine 40 Thesen. Der Islamwissenschaftler ruft damit heftige Kritik hevor.
Die Podiumsdiskussion zu unterschiedlichen Islamverständnissen am Samstagabend in der Neuköllner Begegnungsstätte (NBS) stand unter dem Titel „Konservativer Islam versus Liberaler Islam – Realität oder nur leere Worthülsen?“. Eingeladen dazu hatte der Vorstandsvorsitzende der Neuköllner Begegnungsstätte, Imam Mohamed Taha Sabri, der einen Impulsvortrag hielt, sich aber an der Diskussion nicht selbst beteiligte. Sabri sprach im Anschluss von einem gelungenen Dialog.
Der Freiburger Islamwissenschaftler Ourghi verteidigte in der Diskussion seine 40 Thesen zur Reform des Islam, die er Anfang Oktober 2017 in einer medienwirksamen Aktion an die Dar-As-Salam Moschee angeschlagen hatte. Er setze sich für einen europäischen Islam im westlichen Kontext ein. Reformen des Religionsverständnisses seien bereits im Koran angelegt und müssten einfach nur wiederbelebt werden.
Alles schönzureden, wäre indes eine Selbstlüge, sagte Ourghi. Muslime hätten durchaus „einige Probleme und die Aufgabe, diese zu lösen“. Dafür sei es an der Zeit, miteinander zu reden und sich gegenseitig zu akzeptieren. Die Weiterentwicklung des Islam sollte dabei nicht von konservativen Verbänden bestimmt werden, sagte Ourghi.
Unzulässige Pauschalisierungen
Bei den anderen Diskussionsteilnehmer und im Publikum stießen Ourghis Thesen teilweise auf heftigen Widerspruch. Die Göttinger Islamwissenschaftlerin Riem Spielhaus warf ihm unzulässige Pauschalisierungen über „die Muslime“ vor. Ähnlich äußerte sich der Theologe und wissenschaftliche Mitarbeiter am Zentrum für Islamische Theologie Münster, Ali Ghandour.
Die Politologin und Vorstandsmitglied der Deutschen Islam Akademie, Pinar Cetin, berichtete von der Vielfalt religiöser Einstellungen und Überzeugungen in der dritten oder vierten Einwanderergeneration. Begriffe wie „liberal“ oder „konservativ“ seien da kaum noch zu fassen. Den „deutschen Islam“ werde es nie geben; die jungen Muslime heute gestalteten die Richtung, mit der eine spätere Generation vielleicht wieder brechen werde. Die Diskussion, ob Gott über dem Grundgesetz stehe oder nicht, charakterisierte Cetin als künstlich. Tatsächliche Probleme für Muslime in der westlichen Welt ergäben sich daraus nicht.
Auch Imam Mohamed Taha Sabri betonte in seinem Impulsvortrag, dass sich die muslimische Welt in Deutschland nicht in „liberal“ oder „konservativ“ unterscheiden lasse, sondern dass sich ein komplexes Bild ergebe. Falsch sei auch der Eindruck, dass in der muslimischen Welt nicht über Reformen gesprochen würde. „Die Frage, ob der Islam eine Erneuerung benötigt, kann ich gewiss mit Ja beantworten“, sagte Sabri. Muslime seien dabei Teil der offenen Gesellschaft.
Im Verfassungsschutzbericht erwähnt
Die Berliner Dar as-Salam Moschee steht seit längerem im öffentlichen Fokus. Der aktuelle Berliner Verfassungsschutzbericht für 2016 erwähnt die Neuköllner Begegnungsstätte im Kapitel „Legalistischer Islamismus“. Einerseits positioniere sie sich gegen jedwede Gewaltausübung im Namen des Islam und engagiere sich in der Integrations- und Präventionsarbeit. Andererseits unterhalte sie Verbindungen zur Muslimbruderschaft.
Die Moscheegemeinde wehrt sich derzeit juristisch gegen ihre Erwähnung im Verfassungsschutzbericht. Imam Mohamed Taha Sabri, der bei Ourghis Thesenanschlag am 7. Oktober 2017 das Gespräch gesucht hatte, wurde 2015 vom Land Berlin für seine Integrationsarbeit ausgezeichnet.
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