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Kontaktgruppe: Offener Streit um Bosnien-Politik

■ Differenzen zwischen Rußland und westlichen Staaten nicht mehr überbrückbar

Genf (taz) – Die Zeiten der einheitlichen Politik der „Bosnien- Kontaktgruppe“ scheinen beendet. In der Nacht auf gestern konnten sich die fünf Mitglieder der Initiative zur Beendigung des Krieges um die ex-jugoslawische Republik im Weltsicherheitsrat nicht einmal mehr auf eine einfache „Stellungnahme“ zur aktuellen Lage einigen. Immerhin begrüßten die USA, Großbritannien und Frankreich in einem gemeinsamen Entwurf noch einmal die Beschlüsse des Genfer Außenministertreffens der Kontaktgruppe. In dem Papier waren ausdrücklich alle „bosnischen Kriegsparteien“ zur „Einstellung aller offensiven militärischen Operationen und anderen provokativen Aktionen“ aufgefordert worden.

Rußlands Botschafter Woronzow, seit Anfang August Präsident des Sicherheitsrates, lehnte den Entwurf jedoch rundweg ab – und legte einen eigenen Text vor. Darin wird „tiefe Besorgnis über die Feindseligkeiten in Bosnien, insbesondere die offensiven Aktionen der Regierungstruppen in den Gebieten von Vares, Olovo und Kladany“ geäußert. Zudem kritisierte Woronzow „den massiven Beschuß durch Regierungstruppen in den Gebieten von Visoko und Breža am Rande der UNO-Sicherheitszone von Sarajevo“. Der Sicherheitsrat solle diese „von den UN-Schutztruppen bestätigten Aktionen verurteilen“, so der russische Entwurf weiter.

Doch statt über die Differenzen zu reden, vertagte sich das UN- Gremium – ohne die Andeutung eines möglichen Kompromisses. Schon seit dem letzten Genfer Treffen der Kontaktgruppen-Außenminister am 30. Juli war die Umsetzung der im Rahmen des Treffens von Diplomaten aus den USA, Rußland, Frankreich, Großbritannien und Deutschland angekündigten Maßnahmen im Sicherheitsrat immer wieder aufgeschoben worden. Moskau will die Resolutionen zur Verschärfung der Wirtschaftssanktionen gegen Serbien sowie zur Ausweitung der Verbotszonen für schwere Waffen auf weitere bosnische Städte nicht mittragen.

Der Führer der Serben in der besetzten kroatischen Krajina, Milan Martić, nannte derweil gestern eine „sofortige Vereinigung“ aller „serbischen Gebiete“ im ehemaligen Jugoslawien „unrealistisch“. Grundsätzlich werde die Forderung nach Vereinigung von den Serben in der Krajina jedoch „voll unterstützt“. Am Donnerstag abend hatte das selbsternannte „Parlament“ der bosnischen Serben in Pale nahe Sarajevo alle Serben in Ex-Jugoslaiwen zur sofortigen Vereinigung aufgefordert. Die Forderung soll laut „Parlamentspräsident“ Krajišnik kommende Woche den Parlamenten Restjugoslawiens, Serbiens und Montenegros vorgelegt werden.

Unterdessen gingen gestern die Kämpfe im Norden Bosniens weiter. Vor allem in der Umgebung des Pozavina-Korridors bei Brčko und in der Gegend von Doboj kämpften Regierungstruppen und serbische Verbände mit unverminderter Härte. In der Nähe des Jüdischen Friedhofs von Sarajevo wurde am Morgen ein französischer UN-Fallschirmjäger erschossen. Bis Redaktionsschluß machte keine der Stellen in der bosnischen Hauptstadt Angaben über die Zugehörigkeit der Schützen.

Die Serben verschärfen gestern nach Angaben von Radio Sarajevo ihre Blockade der zwei ostbosnischen Enklaven Goražde und Srebrenica. Die beiden Städte waren im Mai letzten Jahres vom UN-Sicherheitsrat zu „Schutzzonen“ erklärt worden.

Nach Angaben des bosnischen Radiosenders lassen die serbischen Truppen schon seit Tagen keine Hilfskonvois mit Nahrungsmittel mehr nach Srebrenica. In Goražde verweigerten serbische Truppen die Evakuierung von 22 kranken und verwundeten Muslimen. Laut Radio Sarajevo handelt es sich dabei zumeist um Frauen und Kinder. Andreas Zumach

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