Konsum in der Lebensmitte: Die Marktmacht der Best Ager
Die ab 45-Jährigen sind kaufkräftig und kauffreudig. Aber als Zielgruppe von „Menschen in der Lebensmitte“ angesprochen werden, das wollen sie nicht.
Der Kapitalismus hat jede Menge kaufbare Lösungen für das tatsächliche oder vermeintliche Tief in der Phase auf dem Weg ins Dasein als Senior:in. Die Hormonumstellung, die Frauen und ja, auch Männer, ab Mitte ihrer 40er erleben, erscheint als Störung, die behoben werden muss. Unzählige Ratgeber rund um die Lebensmitte geben Tipps, wie Sinnkrisen, Partnerschaftsprobleme oder körperliche Veränderungen bewältigt werden können – nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für Angehörige.
Bei Amazon gibt es mehr als 4.000 Produktvorschläge für den Begriff „Midlife-Crisis“, vom Ratgeber für Ehepaare mit pubertierenden Ehemännern über eine philosophische Gebrauchsanweisung, Sporttipps und Coachingmethoden für Frauen in der Lebensmitte bis zur „Midlife-Lüge“. Zeitschriften und Internetportale widmen sich dieser Gruppe, empfehlen eine bestimmte Ernährung, Sport oder Pülverchen. Die Kosmetikindustrie hat ganze Produktserien, mit denen die Zielgruppe angeblich die äußerliche Alterung hinauszögern kann.
Coaches, Kliniken und Psychotherapeut:innen sind spezialisiert auf die Therapie der Midlife-Depression. Wer selbst mit Tropfen, Dragees oder Tabletten echten oder eingeredeten Leiden zu Leibe rücken will, wird heiß umworben. Aber: Die Produktanpreisungen unterschlagen in der Regel, für welche Altersgruppe genau sie gedacht sind.
In Anzeigen und Werbespots machen stets Jüngere Reklame für Produkte, die sich an Best Ager richten. „Die Models in der Werbung sind 15 Jahre jünger als die angesprochene Zielgruppe“, sagt Christian Wulff, Leiter des Geschäftsbereichs Consumer Markets bei der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC Deutschland. Das geht nicht an der Zielgruppe vorbei, im Gegenteil. Im Vergleich zu vorhergehenden Generationen fühlen sich viele Menschen jenseits der 45 heute sehr viel jünger als sie sind.
Entsprechend wollen sie gesehen und gezeigt werden. „Das ist auch ein Resultat der Werbung“, sagt der Experte. Eines wollen die Best Ager, egal ob weiblich, männlich oder divers, auf keinen Fall, weiß Wulff aus Studien: ihrem Alter entsprechend angesprochen werden. Denn das würde ihrem Selbstbild widersprechen – sie finden ja, dass sie viel jünger aussehen.
Vital in der Lebensmitte
Älter werden im 21. Jahrhundert ist anders als in früheren Zeiten. Das hat Folgen für den Konsum. Die Menschen sind heute in der zweiten Lebenshälfte viel aktiver, vitaler und auch kaufkräftiger als ihre Altersgenoss:innen es vor 40 oder 50 Jahren waren, sagt Wulff. Sie konsumieren mehr und anders, reisen viel und sind insgesamt mobiler. „Die Emanzipation von Frauen ist ein wesentlicher Treiber des veränderten Konsumverhaltens“, sagt er.
Das gilt zum Beispiel für das Freizeitverhalten. Dass Frauen alleine ausgehen oder reisen, ist heute selbstverständlich. Auch, dass sie selbst Auto fahren. Hilfreiche Haushaltsgeräte, von der Wasch- über die Spülmaschine bis zum Hochleistungsstaubsauger erleichtern den Alltag, und zwar geschlechtsunabhängig. Das Nutzen von Social Media und Smartphone gehört für nahezu alle in der Lebensmitte zum Alltag, beim Konsum nachhaltiger Lebensmittel sind die jüngeren den Älteren allerdings voraus.
Wulff ist davon überzeugt, dass Unternehmen die Best Ager bereits gut erreichen. Das sieht der Marketingexperte Hans-Georg Pompe, Autor des Buches „Marktmacht 50+“, anders. Er ist der Meinung, dass Industrie und Dienstleister das große Potenzial noch nicht im möglichen Maße erschließen. „Das ist ein Goldschatz, der gehoben werden muss“, sagt er. „Ab 50 spielt die Musik.“ Viele Menschen in der Lebensmitte sind sehr gut situiert, auch wenn es gerade unter den Älteren durchaus auch viele Arme gibt – doch die sind für ein gezieltes Marketing weniger interessant. Wer jeden Cent dreimal umdrehen muss, für den oder die ist der Preis entscheidend.
Pompe geht davon aus, dass sich bislang nur jedes fünfte Unternehmen gezielt der solventen Käufer:innengruppe in der zweiten Lebenshälfte widmet. „Dabei ist das eine marktbeherrschende Zielgruppe“, ist er überzeugt. Mehr als 720 Milliarden Euro geben die Best Ager über 50-Jährigen pro Jahr hierzulande für Konsum, Möbel oder Reisen aus, sagt Pumpe. „Diese Gruppe hat eine große Kauflust“, sagt er. Und dabei geht es um weit mehr als um eine Gleitsichtbrille oder rückenschonende Schuhe. Etliche wollen etwas Verrücktes machen, endlich Sehnsuchtsorte besuchen oder sich einen lang gehegten Wunsch erfüllen, ein Motorrad oder besonders edles Möbelstück kaufen.
Hans-Georg Pompe, Marketingexperte
Viele haben Zeit für Konsum, nachdem die Kinder groß sind. Sie sind beständig und ziehen seltener um, sagt der Marketingexperte. Sie suchen nach passenden Dienstleistungen und Produkten – die aber eben keine „altersgerecht“-Zeichen haben sollten. „Keiner will sich als alt outen“, sagt Pompe. „Kein Mensch kauft ein Seniorenprodukt.“
Kritische Käufergruppe
Gleichzeitig wollen die Best Ager durchaus besonders umworben werden. Sie sind eine sehr kritische Käufergruppe, sehen sich als lebenserfahren an und lassen sich nicht gerne abspeisen. Sie möchten, dass ihre individuellen Bedürfnisse gesehen werden. „Die Best Ager sehen sich in der Mitte ihres Lebens und wollen begeistert werden“, sagt er. Das gilt für alle Branchen, ist er überzeugt. Wirklich gut macht das seiner Auffassung nach aber nur die Reisebranche.
Sind die 50+ zufrieden, lassen sie das gerne Familienmitglieder, Nachbar:innen oder Freund:innen wissen. Nicht nur als Konsument:innen, auch als Multiplikatoren sind die Best Ager wichtig, sagt Pompe. „Sie empfehlen ein Produkt oder eine Dienstleistung an drei Seiten weiter“, sagt der Marketingexperte. Kein Wunder, dass sich ursprünglich für Ältere gedachte Produkte schnell allgemein durchsetzen – wie beispielsweise das Hörbuch oder der Rollkoffer. Solche Produkte mögen auch Junge. Manches führt aber auch zur Belastung für alle. Die extrem umweltschädlichen SUVs, die für Ältere zum Einsteigen besonders komfortable sind, sind zum Verkaufsschlager für alle geworden und verstopfen Städte und Straßen.
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