Konservenfabrik in Brandenburg: Es geht um die Gurke
Die Spreewälder Gurke ist in Golßen Wirtschaftsfaktor und Teil der Identität. Nun stellt der größte Hersteller die Produktion in der Gurkenstadt ein.
Entstanden ist die ganze Gurken-Folklore rund um die große Fabrik, die mitten in Golßen steht. Die hier ansässige Spreewaldkonserve GmbH ist die größte Produktionsstätte der Regionalspezialität Spreewälder Gurken – mit Zwiebeln, Kräutern, Gewürzen und Senfkörnern eingelegte Gürkchen.
Noch jedenfalls. Der Schock war groß, als der Eigentümer Ende Januar bekanntgab, die Produktion in Golßen Ende 2025 einzustellen. Aufgrund der „schwierigen Marktbedingungen“ verlagere man die Fertigung der Konserven an einen kleinen Standort in einem nahegelegenen Dorf, hieß es. 220 Arbeiter*innen der Spreewaldkonserve müssen nun um ihre Jobs fürchten. Ein harter Einschnitt in dem Städtchen mit nur 2.500 Einwohner*innen. Die Fabrik ist sowieso einer der wichtigsten Arbeitgeber der Region. Aber die Gurke ist in Golßen nicht nur ein Wirtschaftsfaktor. Sie ist Teil der Identität.
Seit 1946 werden hier Gewürzgurken und andere Gemüse- und Obstkonserven hergestellt, davon 40 DDR-Jahre lang im „Volkseigenen Betrieb Spreewaldkonserve Golßen“. Nach der Wende wurde die Spreewaldkonserve mit ihrer bekannten Marke „Spreewaldhof“ zum Familienunternehmen, das 2021 schließlich der französische Lebensmittelkonzern Andros aufkaufte. Fast jede*r in Golßen hat Verwandte oder Bekannte, die in der Fabrik gearbeitet haben oder dort arbeiten – einige mittlerweile in dritter Generation.
Bürgermeisterin Andrea Schulz
„Niemand kann sich Golßen ohne den Spreewaldhof und ohne den Duft von Gurken, Sauerkraut, Rotkohl oder Apfel vorstellen“, erzählt Andrea Schulz. Sie ist in Golßen geboren und seit vergangenem Jahr parteilose Bürgermeisterin der Kleinstadt in der Niederlausitz, rund 60 Kilometer von der südlichen Berliner Stadtgrenze entfernt. Der Schreck über die Nachricht von der drohenden Schließung sitzt tief: „Mir hat es den Boden unter den Füßen weggerissen“, erinnert sich Schulz. „Ich selbst bin direkte Nachbarin. Wenn ich im Bett liege, höre ich die Gläser klappern. Damit bin ich aufgewachsen.“
Jetzt fürchtet die Bürgermeisterin um das Aushängeschild. Und nicht nur das: „Mit der Schließung der Fabrik könnten zwischen 10 und 20 Prozent der Bürger Golßens auf einen Schlag arbeitslos werden“, rechnet Schulz vor.
Alle zeigen sich getroffen
Gleich vor der Tür ihres Amtssitzes liegt der Golßener Marktplatz. An diesem Montagmittag ist er wie leergefegt, das Café Leben hat Ruhetag, auch das Restaurant neben dem wuchtigen, neogotischen Backstein-Rathaus ist geschlossen. Grell scheint die Wintersonne auf die Pflastersteine, ein paar Passant*innen tragen ihre Einkäufe aus dem nahegelegenen Discounter nach Hause. Auf das Thema Gurken angesprochen, zeigen sich alle hier tief getroffen. „Das ist schlimm für die Stadt“, sagt eine ältere Golßenerin. „Furchtbar“, bekundet ein anderer: „Wenn die Fabrik mal weg ist, weiß ich nicht, wie es hier weitergehen soll.“
Aber noch dampft und raucht es über dem Werksgelände. Es liegt gleich neben dem historischen Stadtkern und erstreckt sich über eine Fläche, die fast so groß ist wie die Altstadt. Ein leicht säuerlicher, gäriger Geruch liegt in der Luft, alle paar Minuten fährt ein Lastwagen durch die Tore.
In der Einfahrt gleich rechts befindet sich der sogenannte Hofladen. Wer ihn betritt, landet im Konservenparadies. Regalmeterweise stehen die Produkte der Fabrik in Gläsern zum Verkauf: Saure Gurken, Pfeffergurken, Knoblauchgurken, XXL-Partygurken. Kund*innen sind keine da, aber am Telefon herrscht reger Betrieb. Die Verkäuferin nimmt Bestellungen entgegen: „12 Gläser von den knackig-süßen, alles klar“. Mit der Presse reden möchte sie lieber nicht. Sie sei froh, dass sie ihren Job im Moment noch habe.
Die Golßener Gurken sind im Osten Deutschlands nach eigenen Angaben Nummer eins im Saure-Gurken-Markt, bundesweit landen sie auf Platz drei. Neben der Spreewaldkonserve gibt es im Südosten Brandenburgs noch weitere Gurkenwerke, die oft in Familienhand sind. Seit 1999 trägt das regionale Produkt Spreewälder Gurke das EU-Siegel der „Geschützten Geografischen Angabe“.
Insgesamt werden im Spreewald auf mehr als 500 Hektar Gurken angebaut, schätzt der Spreewaldverein, eine Interessensvertretung von regionalen Unternehmen und Kommunen. Die Ernte betrug 2024 demnach etwa 32.000 Tonnen. Doch das Geschäft schwächelt, wie die drohende Schließung der Golßener Fabrik untermauert. Der Mutterkonzern Andros beklagt auf taz-Anfrage, der Markt für eingelegtes Gemüse sei seit Jahren rückläufig „und durch Überkapazitäten gekennzeichnet“. Preissteigerungen infolge der Coronapandemie sowie höhere Energie- und Lohnkosten könnten deshalb nicht an die Kund*innen weitergegeben werden.
Bestreben gegen die Abhängigkeit
Heinz-Peter Frehn hat das geahnt. Der Bauer betreibt wenige Kilometer südwestlich von Golßen einen Hof für Freilandgemüse. Dieses Jahr geht er in seine „44. Gurkensaison“, wie er sagt. Zunächst im Rheinland, baut er inzwischen schon seit 1997 seine Gurken im Spreewald an und arbeitet eng mit der Spreewaldkonserve zusammen. Aber in den vergangenen Jahren hat die Fabrik ihm immer weniger Gurken abgenommen: 2021 erntete Frehn 6.000 Tonnen Gurken für die Spreewaldkonserve, im vergangenen Jahr waren es nur noch 2.500 Tonnen.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
„Es war uns seit Langem klar: Kriegt die Fabrik – bildlich gesprochen – einen Schnupfen, haben wir direkt eine Lungenentzündung“, sagt Frehn. Deshalb habe er in den vergangenen Jahren viel dafür getan, den Betrieb zu diversifizieren und weniger abhängig zu machen von der Konservenproduktion. „Wir haben Obst gepflanzt und einen Biobetrieb gegründet. Da bauen wir jetzt Zwiebeln, Rote Beete, Sellerie und Kartoffeln an.“ Vom Rotkohl, auch ein klassisches Konservenprodukt, habe er sich mittlerweile verabschiedet: „Das hat sich sowieso nicht mehr gerechnet.“
Frehn befürchtet, dass sich die angekündigte Schließung der Spreewaldkonserve zu Ende des Jahres schon auf die nun anstehende Gurkensaison auswirken könnte: „Die guten Leute, die jetzt noch in der Fabrik arbeiten, die suchen sich womöglich schon diesen Sommer etwas Neues und fehlen dann.“
Tatsächlich ist völlig unklar, wie es für die 220 Beschäftigten jetzt weitergeht. Eine Betriebsversammlung Mitte Februar schuf keine klare Perspektive. Andros hat angekündigt, in Verhandlungen mit Gewerkschaft und Betriebsrat einen Sozialplan für die Mitarbeiter*innen aufzustellen – also die Entlassungen weiter vorzubereiten.
Bei der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) ist man empört über den Umgang von Andros mit der Belegschaft. „Die Nachricht über die geplante Schließung kam aus heiterem Himmel, der Betriebsrat wurde dabei komplett übergangen“, kritisiert Rebecca Rahe, als Gewerkschaftssekretärin der NGG Berlin-Brandenburg unter anderem zuständig für die obst- und gemüseverarbeitende Industrie. „Dem Eigentümer geht es nur um die schnelle Abwicklung.“
Erst im vergangenen Jahr haben die Beschäftigten in Golßen gemeinsam mit der Gewerkschaft einen Tarifvertrag erkämpft. Fachkräfte erhalten seitdem einen Stundenlohn von 16 Euro oder mehr. Zuvor hatten die Betreiber jahrelang Niedriglöhne gezahlt. Mit der Entlassung eines Großteils der Belegschaft setze Andros künftig „massiv auf Saisonkräfte und Leiharbeit“, betont Rebecca Rahe. Um die Schließung abzuwenden, hat die NGG auch eine Unterschriftenkampagne gestartet, den „Golßener Weckruf“.
Auch Bürgermeisterin Andrea Schulz kämpft für den Erhalt der Konservenfabrik: „Ich gebe die Hoffnung nicht auf, bis ich alles versucht habe.“ Sie hat bereits mit der Geschäftsführung gesprochen und zeigt sich verhalten optimistisch: „Alle sind bemüht, eine Lösung zu finden. Am Ende geht es für uns darum, den Produktionsstandort in Golßen zu sichern – dann hat er eine Chance, sich wieder zu erholen.“
Schulz unterstützt auch eine Demo der Mitarbeiter*innen und Zulieferer der Spreewaldkonserve, die am 19. Februar in Golßen stattfinden soll. „Abend der 1.000 Lichter“ steht groß auf dem Plakat, und: „Wir geben so schnell nicht auf!!!“ Es handele sich nicht um eine politische Veranstaltung, ist dem Aufruf zu entnehmen. Dabei hat die AfD, in Golßen ohnehin sehr präsent, das Thema schon längst für sich entdeckt. Schuld an der Gurken-Misere sei die „wirtschaftsfeindliche Politik der Bundesregierung“, heißt es in Social-Media-Beiträgen von AfD-Politikern.
Die Bürgermeisterin ist bemüht, die Wogen zu glätten: Man wolle auf der Demo einfach keine politischen Statements so kurz vor der Bundestagswahl. „Als Bürger ist jeder herzlich willkommen“, sagt Schulz. Es gehe schließlich um „den Charakter, den Charme und die Würze unserer Stadt“.
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