piwik no script img

Konsequenzen aus FinanzkriseBriten senken Mehrwertsteuer

Um der Wirtschaftskrise entgegenzutreten, planen die Briten, die Mehrwertsteuer auf 15 Prozent zu senken - und Steuererleichterungen für untere Einkommensschichten.

In der Krise setzen die Wähler auf Erfahrung: Premierminister Gordon Brown profitiert. Bild: dpa

Die britische Labour-Regierung hat ihre vorsichtige Ausgabenpolitik der vergangenen elf Jahre gestern über den Haufen geworfen. Schatzkanzler Alistair Darling kündigte am Nachmittag in seinem Haushalts-Zwischenbericht einen Maßnahmenkatalog an, mit dem die Wirtschaftskrise zumindest abgefedert werden soll. Kernpunkt ist die Senkung der Mehrwertsteuer von 17,5 auf 15 Prozent - das von der Europäischen Union zugelassene Minimum. Darüber hinaus wird es Steuererleichterungen für die unteren Einkommensschichten sowie für kleine und mittelständische Unternehmen geben.

In Anbetracht der steigenden Arbeitslosigkeit will Darling außerdem der Nation der Hauseigentümer unter die Arme greifen: Wer mit den Hypotheken in Verzug gerät, soll mehr Zeit bekommen, bis man ihn auf die Straße setzen kann. Zwischen Juli und September sind 11.300 Häuser von den Banken in Besitz genommen worden.

Das Paket kostet rund 20 Milliarden Pfund, allein die erste Mehrwertsteuersenkung in der britischen Geschichte schlägt mit 12,5 Milliarden zu Buche. Es ist ein Balanceakt: Einerseits muss Darling, der in drei Tagen 55 Jahre alt wird, die Bevölkerung an der Schwelle einer Rezession dazu bringen, dass sie zu Weihnachten tief in die Tasche greift, um die Konjunktur anzukurbeln. Andererseits darf die hohe Verschuldung, die im kommenden April die 100-Milliarden-Pfund-Grenze durchbrechen wird, nicht die Finanzmärkte verschrecken, weil sonst das Pfund Sterling noch weiter absackt. Als er im März seinen ersten Haushaltsplan vorstellte, ging Darling noch von einem Defizit von 43 Milliarden aus. Im Juni hat die EU bereits ein Strafverfahren wegen des zu hohen Staatsdefizits in Großbritannien eröffnet. Sanktionen muss die Regierung aber nicht befürchten, da Großbritannien nicht zur Eurozone gehört.

Irgendwann muss das Geld zurückgezahlt werden. Deshalb hat Darling gestern auch seine Strategie erläutert, mit der er die Staatsfinanzen nach Ende der Krise wieder in Ordnung bringen will. So sollen die Steuern für Spitzenverdiener mit einem Einkommen von mehr als 150.000 Pfund im Jahr auf 45 Prozent erhöht werden - aber erst 2011, also nach den nächsten Wahlen, damit Labour sein Versprechen halten kann, in dieser Amtsperiode keine Steuern heraufzusetzen. Außerdem soll der öffentliche Dienst den Gürtel enger schnallen.

Ob der Plan aufgeht, sei ungewiss, räumte Wirtschaftsminister Peter Mandelson ein. Davon hängt jedoch die Zukunft der Labour-Regierung ab. Geht es gut, könnte die Partei die nächsten Wahlen gewinnen, glaubt Premierminister Gordon Brown. Er bestreitet allerdings, dass er sich schon im Wahlkampf befindet. Einige seiner engsten Vertrauten rieten ihm, die Gunst der Stunde zu nutzen und vorgezogene Neuwahlen im Juni nächsten Jahres abzuhalten. Noch im Sommer lag die Regierungspartei rund 20 Prozent hinter den Tories. In der Krise setzen die Wähler aber offenbar auf Erfahrung: Labour ist auf Sichtweite an die Tories herangekommen.

Und die Krise hat die Partei offenbar geeint. Der frühere Innenminister Charles Clarke, der noch im September Browns Rücktritt gefordert hatte, überschüttet ihn nun mit Lob. Brown habe im Angesicht der Krise "Führungsqualitäten bewiesen, die äußerst notwendig, aber auch äußerst schwierig" waren.

Lob gab es auch für den bisher als farblos verspotteten Darling. Ex-Transportminister Tom Harris sagte mit Blick auf George Osborne, Schatzkanzler im Tory-Schattenkabinett: "Ich glaube nicht, dass man in einer solchen Krise eine schillernde Persönlichkeit im Schatzkanzleramt gebrauchen kann. Ich traue es mich kaum zu sagen, aber man benötigt jemanden, der so spricht und so aussieht wie ein Bankmanager."

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • V
    vic

    Merkel hat die MwSt. in vergleichsweise guten Zeiten um 3% erhöht. So gesehen wäre nur logisch sie in diesen Zeiten wieder um 3% zu senken.

    Aber Lady Charming braucht die Steuersenkungsshow erst kurz vor der Wahl. Nichts wird gesenkt, nicht davor und nicht danach.

    Die Unternehmenssteuern allerdings schon, da bin ich sicher.

  • LP
    Ludwig Paul Häußner

    Mehrwertsteuer auf 25% erhöhen und MwSt-Bonus einführen

     

    In der derzeitigen Finanz- und Wirtschaftskrise besteht die größte Gefahr, dass die einzelnen Volkswirtschaften in eine Deflation geraden - mit schlimmen Folgen für die Beschäftigung in Form steigender Arbeitslosigkeit.

     

    Die MwSt senken zu wollen, ist so ziemlich das Falscheste, was eine Regierung tun kann. Sie gäbe damit das Signal für fallende Preise - und schon wären wir im Vorhof einer Deflation! Asterix würde dazu nur sagen: "Die spinnen die Briten!"

     

    Ganz das Gegenteil ist not-wendig!

     

    Geld ist ja schließlich genug da, nur wird es nicht ausgegeben, sondern auf Festgeldkonten "geparkt" und leistet somit einer drohenden Deflation Vorschub.

     

    Die Mehrwertsteuer ist schrittweise auf 21%, 23% und 25% zu erhöhen, wie bereits längst in Skandinavien EU-konform der Fall.

    Damit würde zuerst ein kleiner Preisauftrieb impulsiert, die Menschen würden ihr Geld ausgeben, in der Folge würde sich aber die Wirtschaftstätigkeit dynamisieren.

     

    Die Mehreinnahmen aus der MwSt-Erhöhung, immerhin runde 16 Milliarden je Erhöhung sollten als MwSt-Bonus pro BürgerIn rückvergütet werden. Das wäre ein MwSt-Bonus von 200 Euro pro Kopf oder von 800,-- Euro für eine vierköpfige Familie in der ersten Stufe, in der zweiten wäre es 400,-- Euro für einen Single und 1.600,-- Euro für eine vierköpfige Familie, in der dritten Stufe gar 600,-- Euro für einen Single und 2.400,-- Euro für eine vierköpfige Familie.

     

    Hiermit würden zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen, wir hätte ein nicht dirigistisches Konjunkturprogramm und eine Steuerreform, die den Geringverdienern relativ mehr Mittel zuspricht als den Topverdienern.

     

    Ludwig Paul Häußner

    Interfakultatives Institut für Entrepreneurship

    Universität Karlsruhe (TH)