Konjunkturpaket der Bundesregierung: Zu spät, zu wenig, zu zaghaft
Die Wirtschaft wird 2009 um 1 Prozent schrumpfen, die Arbeitslosenquote auf über 9 Prozent steigen, prognostiziert die OECD. Sie kritisiert die Maßnahmen der Regierung als unzureichend.
Die Bundesregierung bekämpft die Wirtschaftskrise zu wenig und zu spät - so lautet in der Zusammenfassung das Urteil der Internationalen Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD). Gestern stellte ihr Chefökonom Klaus Schmidt-Hebbel in Paris ihren aktuellen Wirtschaftsausblick vor.
Darin sagt er der Bundesrepublik für das nächste Jahr die schwerste Rezession seit 30 Jahren voraus. Um 0,9 Prozent werde die Wirtschaft hierzulande schrumpfen und erst 2010 wieder wachsen. Rund 700.000 Arbeitslose mehr als heute werde es dann geben. Damit liegt Deutschland im Trend: 21 der 30 OECD-Mitgliedstaaten rutschten gerade in eine langwierige Rezession, so Schmidt-Hebbel. Zwischen Mitte 2008 und Mitte 2009 schrumpfe die Wirtschaft. Im besten Falle sei wieder 2010 mit Wachstum zu rechnen. Der Arbeitsmarkt in den meist hoch industrialisierten Mitgliedsländern brauche länger, um sich zu erholen. 2010 sei mit acht Millionen Arbeitslosen mehr als heute zu rechnen, 42 Millionen Menschen könnten dann im OECD-Raum ohne Job dastehen.
Die Bundesrepublik ist von der Weltwirtschaftskrise demnach mehr als andere Länder betroffen: Die Deutschlands Ökonomie dominierende Exportbranche sei auch noch stark auf Maschinenbau spezialisiert. Die Investitionsgüterbranche leide unter der weltweiten Zurückhaltung bei Investitionen und Kreditvergaben besonders.
Allerdings seien auch die Voraussetzungen gut, um der Krise zu begegnen, sagte der für Deutschland zuständige OECD-Wirtschaftsexperte Felix Hüfner. Der private Konsum werde relativ stabil bleiben, weil die Haushalte aufgrund der sinkenden Inflation real über mehr Einkommen verfügten. Zudem wirkten die hohen Lohnabschlüsse der vergangenen Jahre positiv.
Der Arbeitsmarkt sei flexibilisiert, der Staatshaushalt konsolidiert, so Hüfner. Der gewachsene Leiharbeitssektor führe zwar dazu, dass schnell viele Menschen entlassen würden. Es werde aber nicht mehr das frühere hohe Niveau der Arbeitslosigkeit erreicht. Zudem ermöglichten es die "gesunden Staatsfinanzen" der Bundesregierung, gegen den Abschwung vorzugehen.
Dies müsste schnell, zielgerichtet und zeitlich befristet geschehen, forderte Schmidt-Hebbel. Vor allem Haushalte mit wenig Einkommen müssten unterstützt werden, etwa mit Barschecks, die die Konjunktur besonders effektiv stützten. Offenbar diskutiert die Bundesregierung die Ausgabe von Gutscheinen an die Verbraucher hinter den Kulissen. Das Handelsblatt berichtete gestern mit Verweis auf Regierungskreise, es seien "Konsum-Coupons" in Höhe von je 500 Euro im Gespräch. Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) dementierte dies. "Es gibt solche Pläne nicht in meinem Haus, und ich vermute, an anderer Stelle auch nicht", sagte er gestern im Bundestag.
Dort wurde das Konjunkturpaket in erster Lesung vorgestellt, das diese Woche noch vom Parlament verabschiedet werden soll. Es sieht Milliardeninvestitionen in Verkehr-, Bau- und Infrastrukturprojekte, in Bildung sowie Steuererleichterungen für Neuwagen vor. Laut Andreas Wörgötter, für Deutschland zuständiger Direktor der OECD-Wirtschaftsabteilung, ist es "eher geeignet, den Aufschwung 2010 zu verstärken als den Abschwung 2009 abzufedern". Für die nächsten beiden Jahre rechnet die OECD jeweils mit einem deutschen Haushaltsdefizit von 0,9 Prozent aufgrund sinkender Einkommen- und Gewerbesteuern. Die zusätzlichen Ausgaben des Maßnahmenpaketes sind dabei noch nicht berücksichtigt.
Die Ökonomen betonten, mittelfristig müsse Deutschland an der Sanierung seiner Staatsfinanzen festhalten, und forderte, lange diskutierte "Schuldenschranken" für die öffentlichen Haushalte einzuführen. Sie hinderten den Staat nicht, sich in Krisenzeiten zu verschulden, um die Konjunktur anzukurbeln. Sie verpflichteten ihn aber, in Zeiten des Aufschwungs die Schulden wieder abzubauen. Doch das sei eine mittelfristige Perspektive über den Konjunkturzyklus hinaus. Kurzfristig, so Wörgötter, sei jetzt zu diskutieren, ob der Haushalt der Bundesrepublik nicht mehr an Hilfen für die Konjunktur zulasse.
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