Kongo: Mit den Ferien kommt der Krieg

Von einer neuen Ära ist ein Jahr nach der Wahl im Kongo wenig zu spüren. Anne Nyiramurisi weiß, was zu befürchten steht: Die Bäuerin musste sich vor Milizen verstecken.

Noch immer müssen Menschen in Kongo vor Kämpfen flüchten. Bild: ap

Der Höhepunkt des Festtages ist ein Frauenfußballspiel. Nach der obligatorischen lauten und bunten Parade versammeln sich Würdenträger, Soldaten, Straßenkinder und festlich gekleidete Neugierige im Stadion von Rutshuru. Das einheimische Frauenteam Kiwandja spielt gegen ein Team aus dem Dorf Rubare. Das Publikum begleitet das Geschehen auf dem holprigen Platz, über den während Spiels auch mal eine Ziege wandert, mit begeistertem Gejohle. Am Schluss siegen die Gastgeberinnen mit 3:0. So feiert die Kleinstadt Rutshuru im Osten der Demokratischen Republik Kongo am Unabhängigkeitstag, dem wichtigsten Feiertag des Landes.

Die Demokratische Republik Kongo, seit 30. Juni 1960 unabhängig, hat seitdem nur Diktatur oder Krieg erlebt. Der heutige Präsident Joseph Kabila kam 2001 an die Macht, als das Land zwischen Bürgerkriegsarmeen geteilt war. Der Krieg endete offiziell 2003, im vorigen Jahr wurde Kabila in Kongos ersten freien Wahlen bestätigt. Im Osten des Landes dauern die Kämpfe an. Allein in der ostkongolesischen Provinz Nord-Kivu an der Grenze zu Ruanda leben über 600.000 der etwa eine Million Kriegsvertriebenen.

Dort stehen sich drei bewaffnete Kräfte gegenüber: die Regierungsarmee FARDC, die Rebellion des Tutsi-Generals Laurent Nkunda (CNDP, Nationalkongress zur Verteidigung des Volkes) und die aus Ruanda eingedrungenen Hutu-Milizen (FDLR, Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas). DJ

Anne Nyiramurisi ist an diesem 30. Juni nicht nach Feiern zumute. Die 48-Jährige steht im schwarzen Matsch vor ihrer Lehmhütte, die mit einem weißen Plastiksack überdacht ist. Zu essen hat sie nichts. Seit einem Jahr wohnt sie im Vertriebenenlager Niyongera außerhalb der Stadt. Die letzten Erbsen aus der monatlichen Lebensmittelzuteilung der UN hat sie mit ihrem Mann und ihren drei Kindern am Vortag aufgegessen. Wann die nächste Ration kommt, weiß sie nicht. "Ich werde auf die Felder gehen und sehen, ob ich ein bisschen Gemüse zusammenklauben kann", sagt sie und seufzt unter ihrem grünen Kopftuch. Was sie vom Unabhängigkeitstag hält, dem Festtag aller Kongolesen? Sie lacht, aber Freude ist in ihrem Gesicht nicht zu erkennen. Dann sagt sie: "Ich werde Wasser trinken."

Offiziell hat im Kongo mit den freien Wahlen im vergangenen Jahr eine neue Ära begonnen. Aber in der Provinz Nord-Kivu im Osten des Landes, wo der Krieg am ärgsten gewütet hatte, wird weiter gekämpft und wächst das Elend. Als im Kongo gewählt wurde, lebte Anne Nyiramurisi noch im Busch, weil ihr Dorf Makoka wiederholt von Bewaffneten angegriffen worden war. "In dieser Zeit wurden alle unsere Sachen gestohlen", erzählt sie. "Und in der Regenzeit war es sehr schwierig, viele starben an Malaria. Also haben wir uns entschlossen wegzugehen. Erst kamen wir in die Stadt und lebten dort in einer Kirche, aber es wurden zu viele, wir mussten raus. So sind wir hierher gekommen."

In Niyongera leben nun auf engstem Raum auf einem abschüssigen und feuchten Gelände 900 Familien. Das sind knapp 5.000 Menschen, und drum herum entstehen immer neue Lager.

Die Region, aus der die Menschen fliehen, ist eine Hochburg der ruandischen Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Front zur Befreiung Ruandas), die sich seit Mitte der Neunzigerjahre im Osten des Kongo bewegt und die Bevölkerung terrorisiert. Seit einiger Zeit ist sie im Distrikt Rutshuru das Ziel von Angriffen der Regierungsarmee, die sich dafür mit ihren vormals größten Feinden zusammengetan hat, nämlich den Kämpfern des Tutsi-Rebellenführers Laurent Nkunda. Dieser hatte Ende vorigen Jahres eine Großoffensive der Regierung zurückgeschlagen und sich danach einen Sonderstatus ausgehandelt: Er behielt sein Territorium, und seine Kämpfer bildeten mit Regierungseinheiten "gemischte Brigaden", die die Hutu-Miliz FDLR bekämpfen sollen.

Die "gemischte Brigade" in Rutshuru ist die "Brigade Bravo", erkennbar an ihren rosa Armbändern. Man muss nur die Angst auf den Gesichtern von Passanten bei ihrem Anblick sehen, um zu merken, dass die "gemischten Truppen" kein Vertrauen genießen. "Die FDLR greift nachts die Leute an, die Bravo am helllichten Tag", berichtet Safari Majune, der Präsident des Flüchtlingskomitees des Lagers Niyongera. "Die Bravo-Soldaten sagten, sie wollten die FDLR jagen. Die FDLR war stärker, also rächte sich Bravo an der Bevölkerung. Das Sprichwort sagt: Wenn zwei Elefanten sich streiten, leidet das Gras. So hat das Gras, also wir, die Flucht ergriffen."

Über 130.000 Menschen sind im Distrikt Rutshuru in den letzten Monaten vor den Kämpfen geflohen. Über weite Landstriche sind alle Dörfer verlassen und geplündert. "Die Häuser stehen offen und leer, direkt vor der Tür wächst die Hirse meterhoch. Aber niemand kann sie ernten", berichtet Adrien Katsomya. Der Arzt bereiste vor kurzem das Kampfgebiet. Tagsüber wurde er von UN-Blauhelmen begleitet, die sich aber aus Sicherheitsgründen bei Anbruch der Dunkelheit stets zurückzogen, während er in der Stadt Nyamilima übernachtete. "Wir mussten uns unter unseren Betten verstecken, weil die FDLR mit schwerer Artillerie angriff", erinnert er sich. Die medizinische Versorgung sei fast zusammengebrochen. "In Nyamilima sind schon 40 Menschen an Bissen von tollwütigen Hunden gestorben."

Der Krieg gegen die FDLR ist ein Fiasko - und nun droht auch der Frieden zwischen der Regierung und den Rebellen Nkundas zu scheitern. Die kongolesische Regierung sagt bei jeder Gelegenheit, dass im Osten des Landes aufgeräumt werden müsse. Dort kursieren Gerüchte über Großlieferungen von Waffen und Munition. Der neue Provinzkommandeur, General Mayala mit dem schönen Vornamen Vainqueur (Sieger), gilt als Hardliner. Und es mehren sich Hinweise, dass die "gemischten Brigaden" sich wieder in ihre Bestandteile auflösen. Am meisten Unruhe stiftet, dass zum 30. Juni zwei Brigaden der Regierung aus anderen Landesteilen den Marschbefehl Richtung Nord-Kivu erhalten haben. Dort geht man davon aus, dass die neuen Brigaden Nkundas Kämpfer angreifen sollen.

Kriege im Kongo beginnen meist mit den Sommerferien. Denn mit dem Unabhängigkeitstag geht auch das Schuljahr zu Ende, und Soldaten, die meist mit ihren Familien in improvisierten und elendigen Lagern leben, können sich danach bewegen, ohne ihre Kinder zurückzulassen. Kongos Festtag ist deshalb auch der Tag, ab dem Fronten in Bewegung geraten.

Im Hauptquartier der Rebellen hoch oben in den Masisi-Bergen, die sich westlich der Provinzhauptstadt Goma zum Himmel strecken, herrschen Resignation und Trotz. "Ein Völkermord wird vorbereitet, und die Welt verschließt die Augen", sagt der hochgewachsene Tutsi-General Nkunda. Präsident Kabila wolle das Scheitern seiner Regierung hinter einem Krieg verstecken, was sogar die Monuc, die UN-Mission im Kongo, billige. Was das für ihn bedeutet? "Das Ende von Laurent, vielleicht", sagt Nkunda von sich in der dritten Person. "Laurent wird sterben. Aber unsere Bewegung geht weiter."

Aus der Sicht von Nkunda ist die Sache einfach: Im Ostkongo gelten die Tutsi als "Ruander", als Ausländer, die man nicht im Land haben möchte. Sie aber sehen sich als Kongolesen, die kämpfen müssen, um zu überleben. Das Abkommen mit Kabila hatte das Ziel, die ruandischen Hutu-Milizen zu zerschlagen, die aus jenen Kräften hervorgegangen sind, die 1994 in Ruanda den Völkermord an den dortigen Tutsi verübt hatten. Dies sollte die Rückkehr der nach Ruanda geflohenen kongolesischen Tutsi ermöglichen. Doch daran halte sich die Regierung nicht mehr, meint der Rebellenführer.

"Ich habe meinen Teil getan", sagt Nkunda in der Farmhausruine, die ihm als Hauptquartier dient. "Ich habe 6.000 Soldaten in die gemischten Brigaden gegeben, meine anderen 2.000 sind in Stand-by. Die Brigaden haben ihre Arbeit getan. Wir haben die Distrikte Masisi und Rutshuru befreit und wollten weiter vorrücken. Aber die Regierung hat ihre Arbeit nicht gemacht. Sie hat die Logistik blockiert, sie bezahlt die Brigaden nicht mehr. Ich fürchte, dass die Regierung ihre Soldaten zurückholen wird." Damit wäre der Friedensschluss zwischen der Regierung und der Tutsi-Rebellenarmee hinfällig.

Dass der Konflikt erneut ausbrechen könnte, nimmt Nkunda betont gelassen hin. Dreimal hat er in der Vergangenheit schon Angriffe der Regierung zurückgeschlagen. Aber diesmal, davon ist er überzeugt, wird die Regierung von der UN-Blauhelmmission unterstützt. Hat diese ihre Truppen in Nord-Kivu nicht soeben auf 4.300 verstärkt? Reihen sich nicht auf der UN-Basis der Provinzhauptstadt Goma Kolonnen neuer weißer UN-Panzer aneinander? Hat die Monuc nicht im Ostkongo die zweithöchste Alarmstufe ausgerufen, die bedeutet, dass UN-Helfer sich nur noch mit bewaffneter Eskorte bewegen dürfen? Aus UN-Kreisen ist zu hören, es sei durchaus möglich, dass die UN-Mission die Regierungsarmee unterstützt.

"Wir wollen Dialog", sagt Nkunda. Aber es klingt nicht überzeugt, sondern wie auswendig gelernt. Im Gespräch mit seinen Offizieren, die nicht nur aus Tutsi bestehen, fallen auffällig oft Phrasen wie die, dass man "die Sache ein für alle Mal erledigen" müsse oder dass man sich, wenn man schon untergehe, "mit einem Coup verabschieden" werde, der "in die Geschichtsbücher eingeht". Auch von Angriffen auf die UNO ist die Rede. Und davon, dass Ruanda eingreifen müsse, um die kongolesischen Tutsi zu retten, und dass andernfalls der ruandische Präsident Paul Kagame stürzen werde. Denn bei vielen seiner Soldaten handelt es sich um Tutsi, die aus dem Kongo geflohen sind.

In der Vorahnung eines bevorstehenden Krieges, der der schwerste seit Jahren werden und die Region lähmen könnte, stehen die kommenden Kriegsführer in einem Luxushotel der Provinzhauptstadt Goma einträchtig nebeneinander. Eingeladen zu einem Konfliktlösungsseminar, tauschen Generäle und Milizenführer Telefonnummern aus und spielen Rollenspiele. Bei einem Testspiel ist Kommandeur Mayala einer von zweien, der die richtige Antwort weiß. Strahlend wirft er die Arme in die Luft, die anderen lachen.

Die Militärs finden, Krieg sei nicht ihr Problem. "Das Problem ist politisch, nicht militärisch", meint General Delphin Kahimbi, Mayalas Stellvertreter. "Wenn die Politiker und die Ethnien sich versöhnen, gibt es in der Armee keine Probleme." Bei der Abschlussfeier in der weitläufigen Parkanlage des Tagungsortes bleiben Milizenführer, Regierungsoffiziere und Nkundas Leute aber jeweils unter sich. Später, unter bewölktem Nachthimmel, fallen in der Nähe dumpfe Schüsse, Maschinengewehre rattern.

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