Konflikt um Sinti-und-Roma-Mahnmal: Ein doppelter Schlenker
Die künftige S21 gefährdet das Mahnmal für die ermordeten Sinti und Roma. Bei Gesprächen sind sich die Beteiligten nun offenbar nähergekommen.
Die Chancen steigen, dass der Bau der City-S-Bahn S21 das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma im Tiergarten doch nicht beeinträchtigt. Bei einer Gesprächsrunde, die schon am vergangenen Freitag stattfand, haben alle Beteiligten vereinbart, eine entsprechende Lösung zu finden. Die könnte darin bestehen, dass entgegen dem aktuellem Planungsstand doch beide S-Bahn-Tunnelröhren einen östlichen Schlenker um das Reichstagsgebäude machen. Das Mahnmal wäre somit nicht tangiert. Dass das bereits entschieden ist, wie am Dienstag teilweise berichtet wurde, trifft dagegen nicht zu.
Bei dem Gespräch, zu dem Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) eingeladen hatte, saßen der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma, die Bundestagsverwaltung und die Deutsche Bahn AG am Tisch, vertreten waren außerdem die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, der Bezirk Mitte und die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien. Ein „intensives und konstruktives Gespräch“ sei es gewesen, sagte Günthers Sprecher Jan Thomsen der taz.
Die Beteiligten hätten sich darauf geeinigt, „dass noch einmal genau überprüft wird, welche Implikationen die wichtigsten technisch möglichen Varianten einer Trassenführung haben – und wie die jeweils auftauchenden Probleme überwunden werden können“. Ziel sei es, „die Lösung zu finden, die das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas maximal schützt“.
Wie diese Suche ausgeht, wird sich erst nach der Sommerpause des Bundestags zeigen. Dann werden sich die Baukommission und wohl auch der Ältestenrat mit der Angelegenheit befassen, die seit Ende Mai für Aufregung unter Sinti und Roma sorgt. Damals war einer größeren Öffentlichkeit bekannt geworden, dass die aktuell bevorzugte Planungsvariante des 2. Bauabschnitts zwischen Hauptbahnhof und Potsdamer Platz, die eine unterirdische Umfahrung des Reichstagsgebäudes von beiden Seiten vorsieht, das Denkmal in Mitleidenschaft ziehen würde. Von einer temporären Verlegung war ebenso die Rede wie von einer Teilsperrung.
Für die Familien der Opfer sei dieser Eingriff nicht akzeptabel, schrieben Zentralrat und Denkmal-Stiftung damals in einem gemeinsamen Brief an den Bahnvorstand. Mitte Juni protestierten dann bereits mehr als 500 Menschen mit einer Kundgebung vor dem Mahnmal und einem Demozug zur DB-Konzernzentrale am Potsdamer Platz gegen die geplante S-Bahn-Trassenführung.
Der hochbetagte israelische Künstler Dani Karavan, der das Denkmal entworfen hat, kündigte seinerseits an, er werde es notfalls „mit seinem Körper schützen“. Der Konzernbevollmächtigte der Deutschen Bahn für Berlin, Alexander Kaczmarek, beteuerte daraufhin, sein Unternehmen wisse „um die herausragende Bedeutung des Denkmals“ und er sei zuversichtlich, dass man „zu einer guten Lösung kommen“ werde.
Zurück zum ursprünglichen Vorschlag
Nach bislang zwei von Senatorin Günther einberufenen Runden – die erste fand bereits Anfang Juni statt – liegt nun wieder der ursprüngliche Vorschlag der DB auf dem Tisch: Er sah vor, beide S-Bahn-Gleise zwischen Reichstagsgebäude und Parlamentarischer Gesellschaft, also in östlicher Umfahrung, zum Brandenburger Tor und weiter zum Potsdamer Platz zu führen. Die Baukommission des Bundestags hatte das aus Sicherheitsbedenken abgelehnt: Die Doppel-Tunnelröhre komme dem Parlamentsgebäude zu nahe.
Herbert Heuß vom Zentralrat Deutscher Sinti und Roma betont, die Beteiligten befänden sich mittlerweile in einem „sehr ernsthaften und guten Gespräch“. Es sei bei „allen angekommen, dass das einvernehmlich gelöst werden muss“. Einen neuen Sachstand gebe es aber noch nicht. Sollte die doppelte Ostumfahrung gewählt werden, „gäbe es von unserer Seite keinen weiteren Diskussionsbedarf. Wenn nicht, muss das Gespräch fortgesetzt werden“, sagt Heuß.
Noch ist genug Zeit, um zu diskutieren: Das Planfeststellungsverfahren für den 2. Bauabschnitt wird frühestens im kommenden Jahr eingeleitet.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!