piwik no script img

Konflikt in der WestsaharaArmee stürmt Camp

Marokkos Armee hat ein Wüstencamp protestierender Sahrauis blutig aufgelöst. 12 Menschen starben. Die Sahrauis protestieren gegen soziale Ungleichbehandlung.

In Spanien wird gegen den Abriss des Camps in der Westsahara mit schwingenden Fahnen protestiert. Bild: dpa

MADRID taz | Die marokkanische Armee hat ein Protestcamp in der Westsahara gestürmt und dem Erdboden gleichgemacht. Seit etwas mehr als drei Wochen lebten rund 20.000 Sahrauis in dem "Camp der Würde", das sie 18 Kilometer außerhalb von Laâyoune, der Hauptstadt der ehemaligen spanischen Kolonie Westsahara, errichtet hatten, um gegen ihre soziale Marginalisierung zu protestieren. Marokko, das die Region an Afrikas Nordwestküste seit 35 Jahren besetzt hält, bevorzugt nach Ansicht der Sahrauis die eingewanderte marokkanischstämmige Bevölkerung bei Bildung, Arbeit und Wohnung.

Bei der Operation seien 12 Menschen getötet und zahlreiche zum Teil schwer verletzt worden, erklärte die Vertretung der sahrauischen Befreiungsbewegung Polisario in Spanien. Nach amtlichen marokkanischen Angaben gab es 2 Tote und 70 Verletzte. Anrufer aus Laâyoune berichteten der spanischen Presse, der Sturm auf das Camp habe frühmorgens begonnen, Armee und Gendarmerie hätten Schlagstöcke, Gummigeschosse, Tränengas und Wasserwerfer eingesetzt. Hubschrauber überflogen die Szene. Dutzende Zelte gingen in Flammen auf. Vor allem Jugendliche setzten sich mit Steinen und Knüppeln zur Wehr.

In Laâyoune errichteten junge Sahrauis Barrikaden und verbrannten marokkanische Fahnen. Immer wieder wurden Rufe nach der Unabhängigkeit der Westsahara laut, während die marokkanische Polizei von Sahrauis bewohnte Stadtteile Haus für Haus durchsuchte. Wer dabei zum Handy griff, wurde von den Beamten brutal zusammengeschlagen. Das Stadtbild war von Krankenwagen beherrscht, die Verletzte vom Camp in die Stadt brachten. Nach der völligen Zerstörung des Camps öffneten Armee und Gendarmerie einen Korridor und ließen tausende Menschen zu Fuß Richtung Stadt abziehen. "Wir ziehen durch die Wüste und am Horizont sehen wir Rauch am Himmel", berichtete ein Anrufer gegenüber der spanischen Tageszeitung El País.

"Die Räumung steht im Einklang mit dem Gesetz", erklärten marokkanische Regierungsstellen, während der Außenminister der von der Polisario unterhaltenen sahrauischen Exilregierung im algerischen Tindouf, Mohammed Uld Salek, von einem "barbarischen Akt" sprach. Die sahrauische Exilregierung diskutierte bei Redaktionsschluss noch, ob sie die Teilnahme an den für gestern angesetzten Gesprächen mit Marokko bei der UNO in New York absagen soll.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

2 Kommentare

 / 
  • E
    elias

    Dr. Clemens Amelunxen, (1927 - 1995)

     

    Marokkos Anspruch auf die Westsahara

    Auszug aus Edition-DMF Geographische Grundzüge

     

    Bernard Lugan ist ein Französisch Historiker, spezialisiert in Afrika. Er ist Senior Lecturer an der Universität Lyon IIIlugan

     

    Rechtsgeschichtliche Entwicklung

     

    Bis zum Beginn des Kolonialzeitalters gehörte die Westsahara - ebenso wie der saharische Westen der heutigen Republik Algerien und das gesamte Gebiet der heutigen Republik Mauretanien - unstreitig zu Marokko, dessen Südgrenze damals am Senegal-Fluß lag. Das stand auch später nicht nur auf dem Papier. Die marokkanische Herrschaft wurde auch faktisch ausgeübt. Die Sultane ernannten Kaids (Verwaltungsbeamte) und Kadis (Richter) für die Westsahara, stationierten fallweise dort Militär, erteilten Anweisungen und erhielten Berichte. Dafür gibt es bis heute eine Vielzahl urkundlicher Beweise. Im 17. und 19. Jahrhundert haben marokkanische Sultane (Moulay Ismael und Moulay Hassan) die saharischen Gebiete sogar persönlich bereist und inspiziert.

     

    Die legitime Herrschaft der Sultane in der Westsahara gründete sich - und beruht auch heute noch - auf der “Baya”, dem Huldigungseid der einheimischen Bevölkerung. Nach islamischem Rechtsverständnis ist die “Baya” nicht nur eine religiöse Zeremonie, mit der ein Sultan als “Führer der Gläubigen” anerkannt wird, sondern auch ein juristisches Gelöbnis, durch das weltlich-staatlicher Gehorsam versprochen wird. Diese Doppelbedeutung der “Baya” gemäß der Scharia-Auslegung ist in Europa vielfach verkannt worden, indem man sie auf ihre geistlich-theologische Funktion verkürzte.

     

    Tatsächlich haben die westsaharischen Volksstämme den marokkanischen Sultanen kontinuierlich die Baya” geleistet und sich damit als Untertanen deren Souveränität unterstellt.

     

    An dieser Rechtslage änderte sich nichts, als die europäischen Mächte, hier vor allem Frankreich und Spanien, sich um die Herrschaftsgebiete in Nord- und Westafrika bemühten. Die Sultane erteilten ausländischen Wirtschaftsagenten, Fischern und Händlern zwar gewisse Nutzungs- und Niederlassungsrechte an der westsaharischen Küste, traten aber keineswegs die eigene Territorialhoheit an fremde Mächte ab. In marokkanischen Handelsverträgen mit den USA (1786) und Großbritannien (1856) wurde die Souveränität der Sultane über die Westsahara ausdrücklich von den beteiligten Staaten anerkannt.

     

    Selbst in einem Geheimabkommen von 1904 zwischen Frankreich und Spanien, in dem beide Staaten “Einflußzonen” in Marokko vereinbarten und die Westsahara Spanien zuwiesen, war festgehalten, daß die “Integrität Marokkos unter der Souveränität des Sultans” respektiert werden sollte. Übrigens hat Marokko diesen Vertrag, der ohne seine Beteiligung zu seinen Lasten von Dritten geschlossen wurde (“res inter alios acta”) niemals als für sich verbindlich betrachtet. Da aber die Macht der Sultane damals durch Stammesfehden geschwächt und der Staat inzwischen schon auf allen Landseiten von französischen Kolonien umgeben war, so konnte man sich praktisch kaum gegen die schwerwiegenden Folgen des französisch-spanischen Einvernehmens und Zusammenwirkens zur Wehr setzen.

     

    Diese Folgen traten ein, als Sultan Moulay Hafid die Akte von Algeciras (1906) und dann den Vertrag von Fes ( 1912) unterschreiben mußte. Die Inhalte sind bekannt: Die Stadt Tanger wurde internationaler Verwaltung unterstellt; der mittelmeerische Küstenstreifen des Rif, die Stadt Ifni und die Provinz Tarfaya wurden spanische Schutzgebiete, und das gesamte übrige Sultanat hatte sich dem französischen Protektorat zu unterwerfen.

     

    Auf der Grundlage dieser Machtverteilung konnten Frankreich und Spanien nun, noch im Jahr 1912, einen glatten Völkerrechtsbruch begehen. Sie vereinbarten, daß die Westsahara als Kolonie an Spanien fallen sollte. Das war ein Verstoß nicht nur gegen international anerkannte Regeln des “jus gentium”, sondern auch gegen den französisch-marokkanischen Protektoratsvertrag. Denn die Westsahara gehörte nach wie vor zu Marokko, das zwar seine Souveränität verloren hatte, aber doch ein autonomer Staat geblieben war und dem französisch-spanischen Abkommen keineswegs zustimmte, auch diesmal überhaupt nicht konsultiert worden war. Frankreich aber konnte als bloßer Protektor Marokkos nicht mehr Rechte übertragen als ihm selbst zustanden. Es hatte durchaus nicht die Befugnis, einen Teil des von ihm protegierten, weiterhin als Völkerrechtssubjekt bestehenden Staates an einen Drittstaat, schlicht “abzutreten”.

     

    Die Proteste des Sultans blieben ohnmächtig, und die folgenden Jahrzehnte erlebte die Westsahara in kolonialer Abhängigkeit von Spanien - das für die Entwicklung des Territoriums so gut wie nichts leistete, selbst die Verwaltung von den vorgelagerten Kanarischen Inseln aus betrieb, und das Gebiet eigentlich nur als Pufferzone zum Schutz dieser Inselgruppe betrachtete. Die “Baya”, die den marokkanischen Sultanen wiederholt insgeheim dargeboten wurde, galt nun als Hochverrat gegen die Kolonialmacht, und in den Jahren der Franco-Ära flüchteten tausende Saharauis nach Marokko, das sie als ihr Vaterland ansahen.

     

     

    Links :http://atlas24.webnode.com/products/marokkos-anspruch-auf-die-westsahara/

  • N
    Nora

    Wo ist mein kommentar zu diesem Art..!!!!!!!Auf jeden Fall

    Was mich zu diesem Thema irritiert hat, ist dass spanische Medien wie auch immer Photos von den veletzten Kinder in Gaza zeigten u. meinten sie seien von Layoune, sogar einige tote aus der Vergangenheit wurden von marokkanischen Zeitungen einfach entfernt und der Welt gezeigt als ob sie von Layoune wären, was für eine Täuschung das ist. Warum redet Ihr nicht darüber???????????