Konflikt in der Ukraine: Besetzung statt Entspannung
Der Bürgermeister von Charkiw ist angeschossen worden. Es gab Verletzte bei Schießereien. Diplomaten bemühen sich um die Freilassung der verschleppten Militärbeobachter.
KIEW/BERLIN afp/rtr/dpa | Der Bürgermeister der ostukrainischen Stadt Charkiw ist einem Agenturgericht zufolge angeschossen und lebensgefährlich verletzt worden. Gennadi Kernes sei in den Rücken geschossen worden, sagte die Sprecherin des Bürgermeisters der Nachrichtenagentur Interfax am Montag. Er sei in ein Krankenhaus gebracht worden, wo Ärzte in einer Notoperation um sein Leben kämpften, sagte Tatiana Grusinskaja der Agentur. Charkiw ist die zweitgrößte Stadt der Ukraine.
Separatisten haben in der Stadt Konstantinowka ein weiteres Gebäude besetzt. Örtlichen Medienberichten zufolge stürmten mutmaßlich prorussische Aktivisten am Montag eine Polizeistation knapp 60 Kilometer nördlich der Gebietshauptstadt Donezk. Zudem beschossen Unbekannte die Regierungseinheiten auf dem Militärflugplatz Kramatorsk rund 40 Kilometer nördlich. Zwei Sicherheitskräfte wurden verletzt.
Der Gouverneur von Donezk, Sergej Taruta, und der Donezker Bürgermeister Alexander Lukjantschenko sprachen sich unterdessen für ein landesweites Referendum aus. Parallel zu den Präsidentenwahlen am 25. Mai sollten die Bürger der Ex-Sowjetrepublik über zusätzliche Vollmachten für die Gebietsregierungen entscheiden.
Prorussische Protestführer fordern seit Wochen in Donezk und Lugansk eine Volksabstimmung, eine weitreichende Föderalisierung oder sogar eine Loslösung von der Ukraine - wie zuletzt bei der Halbinsel Krim.
Steinmeier appelliert an Russland
Unterdessen forderte die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) die sofortige Freilassung ihrer im Osten der Ukraine verschleppten Militärbeobachter gefordert. In einer Erklärung in der Nacht zum Montag kritisierte OSZE-Chef Didier Burkhalter die Festsetzung der Beobachter als inakzeptabel.
Die Festsetzung der unbewaffneten Militärbeobachter und ukrainischen Soldaten sei „inakzeptabel und die Sicherheit der internationalen Beobachter im Land muss garantiert werden“, erklärte Burkhalter. Die OSZE verhandle weiter „auf allen Ebenen“ und mittels ranghoher politischer Kontakte über eine Freilassung der am Freitag verschleppten Gruppe. Deren Gefangenschaft widerspreche dem Geist des Genfer Abkommens, das Mitte April zwischen Russland, der Ukraine, der EU und den USA geschlossen worden war, um den Konflikt zu entschärfen.
Die gefangenen OSZE-Mitglieder waren am Sonntagmittag in einer Medien-Inszenierung vorgeführt worden, während vier Rebellen in Tarnuniform und mit Kalaschnikows im Hintergrund wachten. Steinmeier erklärte dazu, dies sei „abstoßend und verletzt in eklatanter Weise die Würde der Betroffenen“.
Das Vorgehen der prorussischen Milizionäre sei „ein Verstoß gegen jede Regel des Umgangs und alle Standards, die gerade für spannungsgeladene Situationen wie diese gemacht sind“. Er forderte Russland auf, seinen Einfluss geltend zu machen, damit die Militärbeobachter freikommen.
Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) verurteilte die Zurschaustellung der Gefangenen vor der Presse. Steinmeier hat von Russland mehr Anstrengungen zur Freilassung des festgehaltenen Teams von westlichen Militärbeobachtern verlangt. Er telefonierte dazu am Montag abermals mit Russlands Außenminister Sergej Lawrow. Der SPD-Politiker forderte nach Angaben des Auswärtigen Amts die russische Führung auf, ein „klares Zeichen zu setzen, dass sie das, was in Slawjansk mit den ausländischen OSZE-Beobachtern geschehen ist, nicht akzeptiert“.
Poroschenko warnt vor Separatistenführer
Der ukrainische Präsidentschaftskandidat Pedro Poroschenko hält das Leben der deutschen OSZE-Beobachter in der Stadt Slawjansk für gefährdet. „Es ist eine hochgefährliche Situation für die deutschen Geiseln“, sagte Poroschenko in einem Interview der Bild-Zeitung. Der selbst ernannte Bürgermeister von Slawjansk sei ein Terrorist. Er habe Ukrainer foltern lassen und andere Politiker getötet. „Er ist völlig durchgedreht und bereit, seine Waffen auch auf Ausländer zu richten“, warnte Poroschenko.
In der Ostukraine befinden sich seit Freitag mehrere OSZE-Beobachter in der Hand prorussischer Rebellen. Unter ihnen sind auch vier Deutsche. Am Sonntagabend ließen die Separatisten einen OSZE-Beobachter frei. Der Schwede sei aus medizinischen Gründen auf freien Fuß gesetzt worden, sagte eine Sprecherin der Separatisten. Es gebe jedoch vorerst keine Pläne, die anderen sieben festgesetzten europäischen Beobachter gehen zu lassen.
EU-Diplomaten wollten am Montag in Brüssel über die Verschärfung der Sanktionen gegen Russland beraten. EU-Vertretern zufolge geht es um die Verhängung von Strafmaßnamen der „Stufe zwei“, darunter Konto- und Visasperren gegen führende russische Regierungsvertreter. Die Gruppe der sieben führenden Industriestaaten (G-7) hatte wegen der Rolle Russlands im Ukraine-Konflikt angekündigt, zügig weitere Sanktionen gegen Moskau zu verhängen.
Die USA wollten voraussichtlich am Montag bereits weitere Strafmaßnahmen in Kraft setzen. Wie von Seiten der US-Regierung bekannt wurde, soll sich die nächste Sanktionsrunde gegen die russische Rüstungsindustrie sowie Unternehmen aus dem Umfeld von Präsident Wladimir Putin richten.
Leser*innenkommentare
tomas
der erste Abschnitt ( cirka 25 % ) ist aktueller Information-Jornalismus..., gut
die Abschnitte danach, ab Steinmeier appeliert an Russland sind Folklore und Polemik...,
schönen tach noch
Claudio S.
Kleiner Nachtrag zum Dauerbrenner 'OSZE-Beobachter'... ja oder nein?
"Phänomene moderner Kriege und Auswirkungen auf das Militärische Nachrichtenwesen und Planungsprozesse" [Vortrag von Oberst i.G. Axel Schneider, NACHRICHTEN-OFFIZIER der 1. Panzerdivision am 13. August 2012 während eines 'Doktrinseminars' im Schweizer Generalstabslehrgang IV-V]
«Dabei müssen herkömmliche Schwellen überschritten, Hierarchien gebrochen und weitgehende Kooperationen eingegangen werden», sagte Schneider. "Die Fülle von Informationen erzwingt ein rigides Knowledge-Management. Ohne den erfahrenen Blick des Chefs ist es nach wie vor unmöglich, unter allem das Wesentliche zu erkennen."
Von der Theorie in die Praxis! Hat doch prima geklappt...
http://www.asmz.ch/fileadmin/asmz/Dokumente/Oktober_12/ASMZ_10_2012_Seite_32-33.pdf
Achso
Lambsdorff in ZDF: Bundeswehr-Soldaten von Verteidigungsmin. nach #Slawjansk entsandt, Leyen und Steinmeier verantwortlich.
Und NEIN es sind noch immer keine OSZE Mitarbeiter egal wie oft die TAZ diese Tatsache hervorheben will.
Ja was sagt man den dazu.
conny loggo
Man kann sich nur wiederholen, das sind keine von der OSZE geschickten Leute. Wenn die OSZE nun aus humanitären Gründen versucht die festgehaltenen Militärs in Zivil freizuverhandeln ist dies nur eine gute Sache nichts anderes.
Zu den Sanktionen ist zu sagen diese Sanktionen contra deren Sanktionen.
Die USA und Deutschland scheinen ein riesiges Vertrauen in die Russen zu haben. Weshalb eigentlich schreibt unsere Einheitspresse nicht genau neben die Sanktionsmeldungen dass die Russen ihrerseits schmerzhaft zurücksanktionieren könnten. Die Luftbrücke aus den USA und die Häfen in Europa die eine Energieversorgung gewährleisten können sehe ich nirgends. Ich warte auch darauf dass die Meldung kommt dass der Truppenabzug aus Afghanistan nicht mehr über Russland möglich ist. Um es mit den Worten der Amis zu sagen - das wird teuer und teurer für die Antirussen.
Und wenn die Russen sich geschäftlich von Europa abwenden in Asien ihr Geld verdienen wird es kalt und teuer auf Europas Energiemarkt.
Und mal so nebenbei gesagt: im Schatten des Konflikts sind die von westlichen Oligarchen getriebenen Regierungen dabei in geheimen Verhandlungen die Bürger Europas mit einem Freihandelsabkommen, und zusätzlich mit dem Zwang zur Privatisierung von
Wasser Strasse der ganzen Infrastruktur der Länder in die Zwangsjacke zu stecken.
Der_Peter
@conny loggo Apropos Sanktionen. Es mutet schon etwas bizarr an, daß Deutschland bei Sanktionen mitmacht und auf der anderen Seite von den Russen "Vertragstreue" anmahnt, was den Rücktransport der Bundeswehr aus Afghanistan anbelangt.
Meisterdieb
@conny loggo Ja gut, immerhin hat die Taz über die Privatisierungspläne berichtet. Artikel zum Freihandelabkommen sind aber Mangelware. So wie die Swoboda nie als das gehandelt wird was es ist: Rechtsradikale Antisemiten, sondern als Übergangsregierung gehandelt wird, wo sich der ein oder andere Talkshowgast bemüht,die gute Zusammenarbeit mit diesen Leuten in den Fokus zu stellen, so wird man die "OSZE-Beobachter" wahrscheinlich nie enttarnen. Trotzdem sollten sie natürlich freigelassen werden und Russland sollte an dieser Stelle auch wirklich Druck machen, dass eine Freilassung erfolgt.
yyyy xxxx
Heute früh hat ein FDP Europakandidat von Lambsdorf im Frühstücksfernsehen von ARD und ZDF klargemacht, dass die Festgenommenen Deutschen nicht im Auftrag der OSCD unterwegs sind. Um die Lage zu verstehen würde ich mir weniger Statements von ukrainischen Oligarchen wünschen, sondern Aufklärung. Was machen Beauftragte der deutschen Kriegsministerin dort? Ist das ein normaler Militäreinsatz, für den es ein Bundestagsmandat geben müsste? Meine Fragen sollen Ihnen auch aufzeigen, wie weit Sie sich von den Fragen die uns Leser interessieren, abgewandt haben.
asdsh
Die entführten Soldaten sind keine OSZE Mitglieder!
Hier von OSZE Sprecher Claus Neukirch im ORF bestätigt:
http://ww .youtube.com/watch?v=mWeU_4UEAq8
!!!!Recherchiert und schreibt nicht ab!!!!!
frodo911
@asdsh Apropos Recherchieren: Solange die OSZE diese Leute als die Ihren ansieht, dann sind sie es auch! Insofern sind die organisatorischen Zusammenhänge vollkommen irrelevant - eine Geiselnahme verbietet sich so oder so.
Meisterdieb
@frodo911 Was die Geiselnahme betrifft stimme ich Ihnen zu. Aber zu schreiben, dass es sich um OSZE-Beobachter handelt ist Irreführung der Bevölkerung und meiner Meinung nach eine Instrumentalisierung der Geiselnahme von Seiten des Westens.
asdsh
Wer sagt, dass die OSZE diese Leute als die Ihren ansieht?
Nach Aussagen der OSZE(Claus Neukirch) sind das Soldaten des "Zentrum für Verifikationsaufgaben" der Bundeswehr, diese sind unter der Leitung der Bundesregierung auf anfrage der "Ukrainischen Regierung" dort im Einsatz. "Die OSZE verhandelt im Moment nicht mit den Entführern"...
Nach Aussagen von Herrn Neukirch sind diese Soldaten nicht unter dem OSZE Mandat im Einsatz, somit sind es auch nicht "deren Leute"... für die auch, anders als die im OSZE Auftrag eingesetzten, auch keine Risikoüberprüfung druchgeführt wurde.
Also wie gesagt, ich hab noch nirgendwo was davon gehört, dass diese Mitarbeiter zu den "Leuten der OSZE" gehören, über Beweise dafür wäre ich Dankbar, FRODO911
Enki
Kann ich nur bestätigen.
Auch dieses Interview mit Herrn Wimmer (CDU) ist dahingehend erhellend.
Nebenbei schlägt er vor, ARD und ZDF als Infokanal zu canceln....