Konflikt in Kreuzberg: Die Kettensäge lauert schon
Der Landwehrkanal soll sauberer werden. Dafür wollen die Wasserbetriebe in Kreuzberg Bäume fällen – und neue pflanzen. Die Anwohner begehren trotzdem auf
Mittwochabend in der Regenbogenfabrik in Kreuzberg. Der Kinosaal des ehemals besetzten Hauses ist voll. Eingeladen haben die Berliner Wasserbetriebe (BWB). Anwohnerinformation nennt sich die Veranstaltung. Die BWB wollen in dem zum Paul-Lincke-Ufer führenden Abschnitt der Lausitzer Straße einen neuen Regenüberlaufkanal verlegen und das Auslaufbauwerk zum Landwehrkanal vergrößern. Dafür sollen fünf Linden am Ufer gefällt werden. Auch fünf Spitzahorne und zwei Linden in der Lausitzer Straße sind von Fällung bedroht. Dafür sollen neue gepflanzt werden. Die Aktion sei ökologisch sinnvoll, weil dadurch die Wasserqualität des Landwehrkanals verbessert werde, heißt es bei den Wasserbetrieben. Aber sie haben die Rechnung ohne die Anwohner gemacht.
Auf dem Podium sitzen vier BWB-Vertreter und der Umweltstadtrat von Kreuzberg-Friedrichhain, Hans Panhoff (Grüne). Mit einer Power-Point-Präsentation versuchen sie, die Sinnhaftigkeit des sogenannten Regenwassermanagements zu erklären. Begriffe wie Mischwasserentlastung, Überfallhöhe, Speichervolumen geistern durch den Raum. Das Podium führt allerhand Gründe für die Vergrößerung des Regenüberlaufkanals von jetzt 80 Zentimetern auf 1,80 Meter an: Bei Starkregen würde dadurch seltener mit Regen verdünntes Schmutzwasser in den Landwehrkanal fließen, weniger Fische müssten sterben.
Es ist kein Heimspiel für BWB und den grünen Baustadtrat. Anfang der Woche wurde im Auftrag der Wasserbetriebe in der Lausitzer Straße bei einem der Spitzahorne als bauvorbereitende Maßnahme die Krone gestutzt. Die Aktion endete, weil Anwohner sich unter die Bäume stellten.
Erst Tatsachen schaffen und dann kommunizieren – das bleibt in Kreuzberg nicht ungesühnt. „Sie wollen uns doch bloß bescheißen“, ruft eine Frau aufgebracht. Es geht um mehr als die Bäume und Straßenabsperrung und Baulärm. „Die Straße bleibt zu, so gut wird das Wasser im Kanal durch die neuen Rohre auch nicht“, sagt eine ältere Dame bestimmt. „Basta.“
Die Diskussion geht über drei Stunden, es ist warm im Raum. Auf der Stirn der Herren auf dem Podium glitzern kleine Schweißperlen. Sollten sie genervt sein, verbergen sie das gut. Eingangs haben sie versprochen, alle Fragen zu beantworten. Die Tunnelbauweise sei besser, da wurzelschonender, meinen Anwohner. Gebaut werde in offener Schachtbauweise, auch weil sie billiger sei, räumen die Vertreter der Wasserbetriebe ein. Ein Anwohner, der sich als Architekt ausgibt, präsentiert schließlich einen gut ausgearbeiteten Gegenvorschlag. Der beinhaltet die Abkehr vom Mischkanal- zum Trennkanalsystem.
Brillant, radikal, nicht umsetzbar, finden die Herren von den BWB. Sie versprechen, den Vorschlag eingehend zu prüfen. Die Umwandlung könne man nicht nur in einer Straße machen, weil alles mit allem zusammenhänge. Ganze Stadteile würden außer Kraft gesetzt, das Vorhaben Milliarden verschlingen.
Die Pläne am Landwehrkanal sind Teil eines mit dem Land Berlin vereinbarten Programms zur Verbesserung der Gewässer. Insgesamt 307.000 Kubikmeter Stauraumkapazität sollen in der innerstädtischen Mischwasserkanalisation geschaffen werden. Davon sind 223.000 bereits realisiert. Erfüllt werden sollen damit die europäischen Wasserrahmenrichtlinien.
Im Saal befinden sich auch der grüne Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele und die Abgeordneten Dirk Behrendt (Grüne) und Marion Platta (Linke). Behrendt und Platta wollen nächsten Donnerstag einen Dringlichkeitsantrag ins Abgeordnetenhaus einbringen, um die Bäume zu schützen. „Der Senat ist aufgefordert, die Sinnhaftigkeit des Unterfangens zu überprüfen und auf Alternativen zu sinnen“, sagt Behrendt zur taz.
Mit Blick auf diesen Antrag signalisieren die BWB, bis zum 21. Mai alle Aktivitäten ruhen zu lassen. Komme vom Senat kein Veto, werde am 22. Mai ein Ornithologe des Bezirksamts losgeschickt. Der müsse prüfen, ob in den fünf Linden am Paul-Lincke-Ufer Vögel nisten. Ist dies nicht der Fall, werde die Kettensäge angeworfen. Dass bei der Fällaktion Polizeischutz angefordert werde, sei nicht ausgeschlossen.
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