piwik no script img

Kompromisslose Zerstörung

„Hyperavantgarde“ stellt mythologische Strukturen radikal in Frage: Kampnagels dritter Themenblock, das Italien-Projekt „Teatro Città“, präsentiert junge Ensembles aus der Adriaregion

von ANNETTE STIEKELE

Die Kunst hat sich gegen immer neue Widerstände durchzusetzen. Und selbst wenn alle Beteiligten reibungslos mitspielen, macht am Ende das Wetter einen Strich durch die Rechnung. Eineinhalb Jahre lang hatte der Hamburger Flughafen der italienischen Theatergruppe Fanny & Alexanderf ür ihre Produktion Requiem eine Spielstätte unter freiem Himmel – einen Grillplatz der Lufthansa – zugesagt.

Doch dann kam vor vier Wochen das Aus. Mit Hilfe der Behörden wurde Veranstalter Kampnagel aber schließlich in den Glas- und Betonwüsten der City Nord fündig. Doch die schlechte Wetterprognose zu ignorieren hieße, ein Waten der Zuschauer im Schlamm hinzunehmen. Die Veranstaltung musste zum Glück nicht abgesagt, sondern nur in die [k1] verlegt werden. Und so konnte Kampnagelintendantin Gordana Vnuk der Presse doch noch den letzten großen Themenblock ihrer ersten Spielzeit: „Teatro Città. Neue italienische Szene“, ankündigen, das vom 9. bis zum 25. Mai auf Kampnagel und einigen Außenspielstätten präsentiert wird. Die junge italienische Theaterszene sei lebendig wie nie, erklärte Vnuk. Die Strukturen der „Teatri Stabili“, der rund 15 festen Häuser in Italien, sind zementiert, die Ausstattung dank üppiger Subventionen besser als die der rund 400 freien Gruppen im Lande.

Und dennoch, die so genannte dritte Welle der Avantgarde, auch „Hyperavantgarde“ genannt, rollt unaufhaltsam und ballt sich in der Region Rimini – Ravenna – Bologna. Dieses Dreieck steht für einen Mix aus Vergnügungsindustrie und moderner Technologie. Hier entstehen neue Formen an der Schnittstelle zwischen Theater, Performance und Bildender Kunst.

Aus der Adriazone stammen die drei Gruppen, die Vnuk beauftragte, Theaterabende zum Thema Urbanität zu entwickeln. Zwei Produktionen hat Kampnagel koproduziert. Ausdrücklich hob Vnuk als künstlerische Qualität die „Kompromisslosigkeit in der Zerstörung mythologischer Strukturen“. Ästhetisch beruft sich das Kollektiv Fanny & Alexander aus Ravenna auf die Tradition des ikonoklastischen Bildertheaters der Cesenaer Sociètas Raffaello Sanzio. Dank junger Intendanten wie des Römers Mario Martone schaffte die Sociètas den Sprung vom Festivalgeheimtipp auf die große Bühne. In ihrer düsteren Musiktheaterperformance Romeo e Julietta, zu sehen beim letztjährigen „Sommertheater,“ erinnerten Fanny & Alexander deutlich an ihre populären Landsleute.

Mit den beiden anderen geladenen Gruppen, Teatrino Clandestino aus Bologna und Motus aus Rimini, teilen Fanny & Alexander bestimmte Arbeitsweisen. Grundlage des kreativen Entstehungsprozesses von Text und Regie sind stets die starken persönlichen und familiären Bande innerhalb einer Gruppe. Zum Thema „Stadt“ durchqueren Fanny & Alexander in Requiem erneut einem tragischen Liebesmythos, diesmal begegnet Alice, die Heldin aus Lewis Carrolls Alice in Wonderland einem Hasen, der in ihr Psyche aus Apuleios Amor und Psyche erkennt. Der Mythos erfährt eine radikale Umdeutung. Für die italienische Aufführung war ursprünglich ein Friedhof als Schauplatz geplant, doch das gestaltete sich noch schwieriger als der Flughafen in Hamburg, wie Ensemblemitglied Luigi de Angelis betont.

Leichter hat es da die multimedial arbeitende Gruppe Motus aus Rimini, die im Hamburger Hotel Elysee sogar über die Präsidentensuite verfügen darf. Ihre Aufführung in Anlehnung an Jean Genet Splendid‘s wird ein intimes Vergnügen für jeweils 20 Zuschauer, die die Erlebnisse von Menschen im Hotel verfolgen können. In einem zweiten Teil, Twin Rooms, widmet sich die Gruppe in einem auf Kampnagel nachgebauten Hotelzimmer den Aspekten des intimen und öffentlichen Raumes.

Zu guter Letzt wird das Bologneser Teatrino Clandestino das Illiade-Gedicht des Homer zerlegen. Dem Zuschauer eröffnen sich dabei phantastische Bilder, die das Kollektiv zu einer besonderen sinnlichen Erfahrung verwebt. Drei unterschiedliche Gruppen – drei Ansätze zu neuen Wahrnehmungen und Ästhetiken im Umgang mit dem historischen Thema „Stadt“ beim dritten Kampnagelfestival. Mit oder ohne Regen.

Fanny & Alexander: Requiem: 9. bis 12. Mai, jeweils 20 Uhr, Kampnagel (k1). - Teatrino Clandestino: Iliade: 16.-19.5., 20 Uhr, Kampnagel (k1). - Motus: Rooms: Spendid‘s: 18.5., 19+21 Uhr, Elysee-Hotel sowie 23.-26.5., 20 Uhr, Kampnagel (k1)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen