Komplexe Rhythmen: Brandt Brauer Frick: Ach, Oper machen die jetzt auch?

BBF betreten mit ihrem Album „Joy“ das Terrain experimenteller Popmusik. Nun vertonen sie „Gianni“ in der Tischlerei der Deutschen Oper.

BBF: Daniel Brandt, Jan Brauer und Paul Frick Foto: Hans Martin Sewcz

Fast 20 Jahre ist es her, dass Gianni Versace von Andrew Cunanan ermordet wurde. Zu dem Zeitpunkt war der Modeschöpfer auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Sein Mörder, ein Callboy aus New York, sah dagegen wegen einer vermeintlichen HIV-Infektion seine Felle davonschwimmen. Als er Versace vor dessen Haus in Miami niederschoss, hatte er auf einer Amokreise durch die USA bereits vier Menschen getötet und stand ganz oben auf der Fahndungsliste des FBI.

Aus diesem Stoff hat der britische Theaterregisseur Martin Butler eine Oper gemacht. Die Musik kommt von dem Berliner Trio Brandt Brauer Frick. Ach, Oper machen die jetzt also auch? Mit ihrer Musik konnte man doch von jeher Menschen an Techno heranführen, die sich mit elektronischer Musik schwertaten. Die gesetztere Verwandtschaft zum Beispiel.

BBF spielten nämlich nicht nur Festivals und in Technoclubs, sondern auch bei Jazztagen. Ihre Tracks brachten sie bisweilen mit einem 10-köpfigen Ensemble in klassische Konzerthäuser und führten die repetitiven Muster elektronischer Tanzmusik mit den Klangwelten klassischer Musik zusammen.

Ist Techno endgültig in der Hochkultur angekommen? Schon möglich. Aber das an dieser Band festzumachen greift doch zu kurz. Allein schon, weil das, was man von „Gianni“ bisher weiß, dem Opernprojekt, das in der Tischlerei, der experimentelleren Nebenbühne, der Deutschen Oper Außergewöhnliches verspricht.

Tischlerei der Deutschen Oper, Bismarckstraße 35, Premiere am 1.10., 20 Uhr, weitere Vorstellungen: 2.10., 7.–8.10. & 12.–15.10., Infos: www.deutscheoperberlin.de

Zum Zeitpunkt des Interviews hat die Band gerade vier Probentermine hinter sich und zeigt sich zufrieden darüber, dass sich „alle verstehen und keiner davon genervt ist, dass die anderen anders arbeiten“.

Der Cast kommt schließlich aus sehr unterschiedlichen Richtungen: Neben der Sopranistin Claron McFadden und Seth Carico, einem Ensemblemitglied der Oper, wird der Eighties-Pop-inspirierte Alexander Geist auftreten, der theatralische Traditionen von Bowie über Marc Almond bis zu Morrissey zitiert.

Das neue Album „Joy“ erscheint am 26.10. (!K7/Because/Warner), Record Release Party am 10.11., Gretchen, Obentrautstraße 19-21, 21 Uhr www.brandtbrauerfrick.de

Durch den Abend führt eine Vogueing-Queen, Amber Vineyard, die „rhythmisch-autoritär skandierend“ in Erscheinung treten wird, wie Schlagzeuger Daniel Brandt grinsend berichtet. Erzählt wird die Geschichte von Versace und seinem Mörder nämlich als Voguing Ball, adaptiert in Form dieser Performance-Art, die aus der afroamerikanischen Queer-Kultur in den Pop-Mainstream eingesickert ist.

Dass es Brandt Brauer Frick nicht darum geht, sich in einer geförderten Kulturnische bequem einzurichten, zeigen sie auch mit ihrem vierten Album „Joy“, das Ende Oktober erscheint. Mit dem begeben sie sich stärker denn je auf das Terrain experimenteller Popmusik. Artrock-Anleihen sind dabei – und komplexe Rhythmen, die an Dubstep erinnern. Und, das ist die wohl bemerkenswerteste Neuerung: richtige Songtexte.

Das bisherige Trio arbeitet dafür mit dem kanadischen Sänger und Dichter Beaver Sheppard zusammen, für den Moment ist er ein festes Bandmitglied. Und weil er nicht im Bandnamen vorkommt – „zu kompliziert, im Ausland kommen die Leute schon jetzt nicht klar mit unseren Namen“, erklärt Brandt –, schmückt sein Antlitz das Cover von „Joy“.

Ist Techno jetzt also endgültig in der Hochkultur angekommen?

Dass Brandt Brauer Frick derzeit an zwei Projekten arbeiten, bei denen die menschliche Stimme eine tragende Rolle spielt, erweist sich als zufällige Synchronizität. Schon seit dem Vorgängeralbum „Miami“ interessierten BBF sich dafür, wie sie mit Vocals ihren Sound ergänzen können.

Damals arbeiteten sie jedoch eher trackorientiert: „Wir haben die Stücke fertig produziert und uns hinterher einen Sänger geholt“. Diesmal schrieben sie zunächst, ganz klassisch singer-songwritermäßig, eine einfache Version des Stücks. Die Produktion folgte, nachdem Sheppard seine Texte geschrieben hatte. Das Ergebnis: Aus Tracks sind Songs geworden sind, ziemlich seelenvolle Songs.

In denen geht es unter anderem um die Frage, wie Menschen in einer postreligiösen Welt, in der wir – zumindest in unserem Teil der Welt – leben, ihr Zusammenleben organisieren. Dabei balancieren BBF Abgründe und Hoffnungsvolles aus: Die Clubkultur taugt ihnen immer noch als positive Utopie, auch wenn sie dieser Tage eher langweilt, was sie auf Dancefloors in aller Welt zu hören bekommen: zu funktionell und stumpf scheint ihnen der Tech-House, dem sie oft begegnen.

Dem gegenüber steht die falsche Nähe, die soziale Netzwerke etwa zu Promis herstellt, die so etwas wie „griechische Götter unserer Gegenwart“ geworden sind – glaubt jedenfalls Brandt. „Letztlich sind diese Leute künstliche Produkte, zu denen man nur deshalb ein Gefühl von Vertrautheit entwickelt, weil man sie schon so oft bewegt und sprechend erlebt hat, dank Snapchat und so weiter.

Alles läuft über das Telefon, über das man auch mit Freunden redet, deshalb entsteht ein ähnlicher Eindruck. Man geht nicht mal mehr extra ins Kino, wo man vielleicht noch ein erhabenes Gefühl haben kann. Die Geschichten, mit denen man konfrontiert wird, kommen aus dem Alltagsgerät, das man immer bei sich hat.“

Brandt Brauer Frick, das wird bei ihren aktuellen Projekten deutlich, geben sich nicht damit zufrieden, einmal eine gute Idee gehabt zu haben. Sie suchen nach neuen Reibungsflächen, ob nun beim Voguing Ball, oder eben, indem sie sich, mehr denn je in ihrer Karriere, ins unübersichtliche Getümmel der experimentellen Popmusik stürzen.

Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg immer Donnerstags in der Printausgabe der taz

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