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Kommunalwahlen im französischen CannesRechtspopulist gegen Sonnyboy

Zwei UMPler wollen Bürgermeister in Cannes werden: David Lisnard, der „städtische Unternehmer“ und Philippe Tabarot, der „Kandidat der Ordnung“.

Politkrimi statt Filmfestival: Strandpromenade in Cannes. Bild: reuters

CANNES taz | Wer am meisten Küsse verteilt und Schultern tätschelt, gewinnt. Dieser Eindruck stellt sich zumindest ein, wenn man eine Weile mit David Lisnard in der Innenstadt von Cannes unterwegs ist. „Übertreibe bloß nicht, sonst machst du noch die Ehemänner eifersüchtig“, scherzt seine Kommunikationsassistentin Aurélie Bel. Lisnard, 45 Jahre alt, ist einer der beiden Favoriten bei der Bürgermeisterwahl Ende März.

Auf der belebten Geschäftsstraße Rue d’Antibes will er zeigen, wie populär er ist, indem er Bekannte anspricht und sich in Gespräche verwickeln lässt. Aber die Jungen, die auf den Caféterrassen diskutieren, sind kaum an dem kleinen Tross interessiert: „Wer ist das, ein Filmstar?“, rät ein Mittelschüler. In Cannes ist auch außerhalb der Festivalzeit die Filmwelt allgegenwärtig. An jeder Bushaltestelle hängt ein Porträt der Stars, die eine Goldene Palme bekommen haben. Die wenigen Touristen fotografieren einander auf den berühmten Stufen des Festivalpalasts, wo im Mai die Stars posieren werden.

Ein älterer Mann, der ursprünglich aus dem Libanon stammt, begrüßt David Lisnard mit „Monsieur le Maire“. „Noch nicht“, antwortet er geschmeichelt und ein bisschen geniert. Noch ist er ja nur stellvertretender Bürgermeister von Cannes. Nun will er die letzte Stufe im Sprung erklimmen.

Kommunalpolitik an der Côte d‘Azur ist Leistungssport: Am Sonntag nimmt Lisnard an einem Halbmarathon teil, auf den er sich ebenso gut vorbereitet hat wie auf seine Wahlkampagne. Er prahlt: „Ich trainiere, so oft es geht. Fünfmal in der Woche mache ich auf der Croisette mein Training.“ Lisnard sei ein „bosseur“, ein Arbeitstier, bestätigt wie auf Wunsch ein Kommunalbeamter.

Niemand in Cannes ist schockiert

Die Frage ist nur, ob sein Fleiß ausreichen wird. Denn seit der bisherige Maire Bernard Brochand auf die Wiederwahl verzichtet hat, ist ein erbitterter Konkurrenzkampf um das höchste Amt in der Stadt ausgebrochen. Auf den Posten hat es auch ein anderer sportlicher Aufsteiger in der Lokalpolitik abgesehen: Philippe Tabarot, um ein Jahr jünger, gehört wie Lisnard der konservativen UMP an.

Dass beide sich im Wahlkampf trotzdem aufs Heftigste attackieren, schockiert in Cannes eigentlich niemanden. Denn hier wird zu 80 Prozent rechts gewählt. Seit Jahrzenten regieren die Bürgerlichen quasi konkurrenzlos und können sich den kleinen Familienzwist leisten.

Küsschen verteilen, Anhänger duzen

Philippe Tabarot, ein ehemaliger Boxer, ist dieser Tage ebenfalls in Cannes unterwegs. Er ist im Match gegen Lisnard der Herausforderer. Auch er geht in den Cafés und Läden zu den Bürgern. Küsschen verteilen, Anhänger duzen, das kann er schon länger und auch besser als sein Rivale, den er wegen seines Diploms in Politikwissenschaft abfällig als „Büropolitiker“ karikiert.

Von den älteren Pétanque-Spielern auf der Esplanade La Pantiéro wird Tabarot wie ein Sohn begrüßt. Er genießt die Unterstützung der ehemaligen „Pieds-noirs“. So bezeichnet man seit den 50er Jahren die Algerienfranzosen, die als Siedler in das nordafrikanische Land gezogen waren.

Nach der Unabhängigkeit Algeriens vor 50 Jahren mussten sie nach Frankreich übersiedeln. Viele von ihnen haben sich in Cannes niedergelassen. Sie alle kennen Tabarots Vater „Roche“. Denn der war ein führendes Mitglied der Geheimen Untergrundarmee der Algerienfranzosen, der OAS.

Selbst das Filmfestival gerät in die Kritik

Aber das ist kein Thema, über das Tabarot mit Journalisten sprechen will. Schließlich gelten seit einer Amnestie von 1969 die Verbrechen der OAS-Terroristen gerade wegen der vielen Pieds-noirs an der Côte d‘Azur als vergessen und vergeben. Doch der Zorn darüber, in Algerien enteignet worden zu sein, ist in Frankreich weiter lebendig – und diese Ressentiments weiß Tabarot politisch zu nutzen.

2010 wurde in Cannes der Film „Hors-la-loi“ von Rachid Bouchareb vorgeführt, in dem es um den Unabhängigkeitskampf der arabischen Algerier geht. Die Pieds-noirs und ihre Nachkommen protestierten gegen diese „Provokation“. Tabarot war natürlich dabei. Er weiß, dass viele von ihnen empfänglich sind für rechtspopulistische Parolen.

Auch das Filmfestival selbst muss herhalten. Dieses ist laut Tabarot vor allem ein Ärgernis für einen Großteil der Steuerzahler: „Diesen Palast habt ihr bezahlt: eine Milliarde Franc! Und was bringt es euch? Überhaupt nichts! Man verbietet euch sogar, ihm näher als 200 Meter zu kommen.“

Internationaler Wettbewerb

Selbst die Kandidatin des Front National, die ehemalige Flugbegleiterin Christine Dorten, fühlt sich von Tabarot oft rechts überholt. Sie musste sogar öffentlich dementieren, dass sie mit diesem Konkurrenten heimlich gegen Lisnard paktiere.

Nach Ansicht David Lisnards dagegen spielt das weltberühmte Filmfestival für die Entwicklung der Stadt eine wichtige Rolle. Schließlich ist er nicht nur Vizebürgermeister, sondern auch Chef des Festivalpalasts. Wegen der Verleihung der Goldenen Palmen sei Cannes nach Paris die bekannteste Stadt Frankreichs, sagt er: „Im internationalen Wettbewerb steht Cannes heute in Konkurrenz mit Hauptstädten wie Berlin, Wien oder Kopenhagen.“

Mit seiner Bilanz und seiner Vision für Cannes hofft Lisnard seinen Erzrivalen Philippe Tabarot bei den Kommunalwahlen zu übertrumpfen. Der elegant gekleidete Kandidat scheut sich aber auch nicht, sein Sonnyboy-Aussehen auf seiner Werbetour auszuspielen. „Ist er nicht hübsch?“, tuscheln zwei ältere Damen. Noch sind die Touristen rar, die Stadt gehört weitgehend den Einheimischen, die Lisnard oft persönlich kennt.

Cannes, „village mondiale“ mit 72.600 Einwohnern

Der Politiker tritt in das alteingesessene Schuhgeschäft Jacques Loup. Die Geschäftsführerin aber ist von seinem Charme kaum beeindruckt: „Wissen Sie, die Politik, das ist nicht meine Sache. Was für uns zählt, ist der Umsatz.“

Damit hat sie Lisnard das Stichwort für sein Programm gegeben: Er sei ein „städtischer Unternehmer“, dessen Aufgabe in der „optimalen Kommerzialisierung“ der „Marke Cannes“ bestehe, erklärt er. Das sollte eigentlich bestens ankommen bei den Geschäftsleuten, die während des Festivals und der Tourismussaison am besten verdienen, wenn Cannes zur Großstadt anschwillt. Lisnard bezeichnet seine Stadt mit ihren 72.600 Einwohnern als „village mondial“, als Dorf mit Weltstadtcharakter.

Tabarot derweil verkauft sich bei seinen „Tupperware-Treffen“ im kleinen Kreis als „Kandidat der Ordnung und der Moral“. Er spricht viel vom Gefühl der Unsicherheit, wendet sich aber mit seinen Versprechen ausdrücklich an eine Wählerschaft der „Dépossédés“, der Enteigneten. Damit spricht er jene Menschen an, welche die Luxusgeschäfte neben den Hotels an der Croisette nur von außen kennen, aber empört sind über die Kriminellen, die von diesem zur Schau gestellten Reichtum angezogen werden.

„Unruhestifter aus Sozialwohnungen ausweisen“

Anders als Lisnard hat Philippe Tabarot sein Hauptquartier nicht im historischen Zentrum hinter dem alten Hafen eingerichtet, sondern im westlichen Außenbezirk La Bocca, das durch die TGV-Bahnlinie und Straße vom Strand abgeschnitten ist. Dort werden in rasantem Tempo neue Siedlungen für Neuzuzügler gebaut. Für diese ist auch die neue schneeweiße Moschee gedacht, die nach langem Hin und Her schließlich dank Finanzierung aus Saudi-Arabien Anfang Jahr eingeweiht werden konnte.

Im Vergleich zu den öden Vororten der französischen Großstädte sieht das alles fast luxuriös aus. Trotzdem wachsen auch hier die Spannungen zwischen den Alteingesessenen und den Jungen aus Zuwandererfamilien aus Nordafrika. Tabarot rennt bei seinen Zuhörern offene Türen ein, als er verspricht: „Ich will Unruhestifter aus den Sozialwohnungen ausweisen dürfen und so verhindern, dass sie mit ihren Dealeraktivitäten ein ganzes Quartier terrorisieren.“

Aber Cannes hat schon Schlimmeres überstanden als die Rivalität der beiden UMP-Kandidaten: Tabarots politischer Mentor, der ehemalige Bürgermeister Michel Mouillot, war wegen Korruption, Unterschlagung und Betrug zu sechs Jahren Haft verurteilt worden.

Die Ehepaare Sarkozy und Lisnard im Fischrestaurant

2001 schickte der damalige Präsident Jacques Chirac den Auswärtigen Bernard Brochand nach Cannes, „um diesen Augias-Stall auszumisten“. Seit letztem Jahr wird allerdings auch gegen Brochands Mitarbeiter wegen Bestechung und Amtsmissbrauchs ermittelt. Der Schatten davon fällt indirekt auf Brochand und dessen Thronfolger Lisnard. „Lass dich nicht in eine Schmuddelkampagne ein“, habe ihm Nicolas Sarkozy geraten, erzählt David Lisnard jedem, der es hören will.

Der frühere Präsident Frankreichs ist neuerdings sein bester Wahlhelfer, seitdem er am Valentinstag nach Cannes zu einem Konzert seiner Gattin Carla Bruni gekommen war. Noch Wochen später wird in Cannes darüber gesprochen: Die Ehepaare Sarkozy und Lisnard haben im traditionellen Restaurant „Aux bons enfants“ in der Rue Meynadier gegessen, wo es ausgezeichnete lokale Fischgerichte gibt.

Sarkozy zeigt, dass er immer noch Chef ist

Sarkozy hat damit klargemacht, wen er im Rathaus von Cannes bevorzugt. Er benutzt die lokalen Wahlen auch unverhohlen als Sprungbrett für sein eigenes Comeback. Er zeigt, dass er immer noch der eigentliche Chef der politischen Familie ist, der über den Rivalitäten steht. Denn die lokale UMP konnte oder wollte zwischen Lisnard und Tabarot nicht entscheiden, weil der Erstere vom früheren Premier François Fillon und der andere ebenso entschieden von Parteichef Jean-François Copé unterstützt wird.

Copé und Fillon, die sich im letzten Herbst um die Parteiführung gezankt hatten, tragen so in Cannes eine neue Runde ihres Machtkampfes aus. Der lachende Dritte bei diesem Tauziehen heißt eindeutig Sarkozy.

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