Kommunalwahl in NRW: Der Habeck aus Ostwestfalen
Die erzkatholische Hochburg Paderborn wackelt: Nach fast 80 Jahren schwarzer Herrschaft hat erstmals ein Grüner die Chance, Bürgermeister zu werden.
Denn Wolters ist so etwas wie der Joker, der coole Move der Paderborner Grünen. Bis 2017 war der Vater von fünf Kindern Wirtschaftsförderer im ebenfalls CDU-regierten rheinischen Neuss bei Düsseldorf und spielte dort mit dem Gedanken, für die Christdemokraten als Bürgermeisterkandidat anzutreten. Entschied sich dann aber für einen Posten als Geschäftsführer der Paderborner Wirtschaftsförderungsgesellschaft. Seit 2023 leitet er die Tegel Projekt GmbH, die den Umbau des einstigen Hauptstadtflughafens in einen Forschungs- und Industriepark mit 5.000 Wohnungen managt.
Wolters’ Wirtschaftskompetenz kommt offenbar an im 156.000 Einwohner zählenden Paderborn. Zwar landete er bei den Bürgermeister-Wahlen am 14. September mit 22,3 Prozent deutlich hinter dem CDU-Konkurrenten Strate, den 35,8 Prozent gewählt haben. Doch hier in der Heimat von Generalsekretär Carsten Linnemann gilt es bereits als Sensation, dass die CDU das Rathaus nicht im ersten Anlauf erobert hat.
Wie in 147 weiteren NRW-Kommunen müssen Wolters und Strate stattdessen am Sonntag in die Stichwahl. Schwarz-grüne Duelle gibt es auch in Düsseldorf, Münster, Bonn und Aachen. Sollte Wolters tatsächlich den katholischen Erzbistumssitz Paderborn erobern, wäre das ein deutliches Zeichen, dass die Strategie der Parteispitze um Linnemann und Bundeskanzler Friedrich Merz gescheitert ist, die AfD durch maximale Distanz zu den Grünen und eine deutliche Rechtsverschiebung klein zu halten.
CDU kündigt „Knall auf Fall“
„Schwarz-Grün ist von der Union – Merz, Söder, Spahn, Klöckner – verächtlich gemacht und zerstört worden“, hat der bei der Bundestagswahl gescheiterte ehemalige grüne Vizekanzler Robert Habeck anlässlich seines Ausscheidens aus dem Bundestag Ende August in der taz geklagt. Genau diese von Habeck analysierte Strategie fahren die Christdemokraten in Paderborn schon seit 2024. „Knall auf Fall, ohne jede Vorwarnung“ habe die CDU im Juni 2024 die vier Jahre währende schwarz-grüne Koalition im Stadtrat aufgekündigt, erinnert sich die damalige grüne Ratsfraktionsvorsitzende Petra Tebbe.
„Extrem überraschend“ sei der Koalitionsbruch gekommen, sagt auch Johannes Menze, Politischer Geschäftsführer der Grünen in Paderborn. „Am Montag nach der Europawahl kam der CDU-Fraktionsvorstand in unsere Fraktion und erklärte die Koalition für beendet.“ Natürlich habe es Differenzen zur CDU gegeben, etwa bei der Erstellung eines Mobilitätskonzepts. Diskussionen gab es über einen dichteren Takt für die lokale Buslinie „Pader-Sprinter“, über Parkplatzpreise in der Innenstadt aber auch über Trinkbrunnen in der Stadt. „Findet die CDU alles nicht notwendig“, sagt Menze dazu. Doch das Argument der Christdemokraten, die grünen Projekte seien schlicht zu teuer, sei vorgeschoben.
Nicht wenige Grüne vermuten, dass die Paderborner CDU nach der Europawahl, bei der sie mit 30 Prozent deutschlandweit stärkste Kraft wurde und bei der die AfD mit 15,9 Prozent auf Platz zwei landete, die Strategie der maximalen Distanzierung von den Grünen um jeden Preis auch auf lokaler Ebene umsetzen wollte.
E-Autos und Radwege
Die Paderborner Grünen konterten, indem sie den durch und durch bürgerlich wirkenden Wolters als Bürgermeisterkandidaten aufstellten. Wolters ist zwar erst seit Ende 2024 Parteimitglied, hatte aber schon als Wirtschaftsförderer grüne Akzente gesetzt. „Ich habe versucht, Unternehmen für Themen wie Klimaneutralität und Elektromobilität zu sensibilisieren“, erzählt er am Mittwochabend. Punkten will Wolters auch mit mehr bezahlbarem Wohnraum, mit besseren Radwegen, mit einem kostenlosen Busticket für alle Schüler:innen.
Sollte er am Sonntag tatsächlich das Paderborner Rathaus erobern, wäre das eine Sensation. Aber auch ein Wink an die Bundes-CDU.
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