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Kommentieren im NetzPseudonym-Nutzer schreiben besser

Wer unter seinem Realnamen kommentiert, schreibt nicht besser, zeigt eine Studie des Dienstleisters Disqus. Der pöbelnde Pseudonym-Nutzer ist ein Mythos.

Anonyme Nutzer schreiben mehr Kommentare. Bild: himberry / photocase.com

Es ist in konservativen Kreisen eine ausgemachte Sache: Dass jeder ungefragt und ohne seinen echten Namen zu nennen im Internet herumschreiben kann, ist ein Übel. So beklagte auch Christian Wulff in seinem Internview bei ARD und ZDF die "Fantasien", die über seine Frau im Internet verbreitet werden.

In einem Positionspapier der Innenpoilitiks-Arbeitsgruppe der Unionsfraktion im Bundestag werden Forennutzer mit Pseudonym gar als "feige" bezeichnet: "Wir brauchen eine solche Kultur der Offenheit und keine Foren, die sich in die Feigheit der Anonymität flüchten." Die Unionspolitiker kommen deshalb zum Ergebnis: "Eine anonyme Teilhabe am politischen Meinungs- und Willensbildungsprozess ist abzulehnen."

Die Sache scheint logisch: Wer nicht mit seinem Namen zu dem stehen will, was er schreibt, gibt sich keine Mühe und sollte daher vielleicht besser ganz schweigen.

Zu ähnlichen Ergebnissen – wenn auch mit einer anderen Attitüde – kommen die Webkonzerne, die mit ihren Identifizierungsdiensten das Web beglücken wollen. Bei Facebook besteht seit jeher eine Realnamenspflicht, Konkurrent Google Plus hat immerhin versprochen die Klarnamenspflicht aufzuheben.

Auch Webkonzerne lieben Realnamen

Das Ergebnis mag ähnlich sein, wie bei den konservativen Politikern, der Ansatz ist jedoch ein anderer: Der Realnamen ermöglicht es den Konzernen die Dutzenden Profile der Internetnutzer zu kombinieren. Wer unter Pseudonym online geht ist nicht für jeden auffindbar und verzichtet damit auf die Vorzüge der voll vernetzten Welt, die die Kernvision milliardenschwerer US-Konzerne ist.

Wir sollen auf einen Blick sehen können, was unsere Freunde so treiben, welche Musik sie hören oder wohin sie in Urlaub fahren. Zudem: Wenn man den Namen des Kunden kennt, kann man ihm zudem so viel besser Waren verkaufen.

Dass die pseudonyme Nutzung des Internets doch etwas für sich hat, hat der Dienstleister für Online-Diskussionen Disqus in einer nun veröffentlichten Studie festgestellt. Das Unternehmen bietet anderen Webseiten ein ausgeklügeltes Diskussions-System an, bei dem die Nutzer sich auf verschiedenen Wegen anmelden können.

Redaktionen und Blogger sparen so ein aufwändiges eigenes Profilsystem, die Kommentatoren selbst müssen sich nur einen Log-In merken und werden benachrichtigt, wenn ein anderer Nutzer ihnen direkt antwortet.

Facebook-Nutzer sind kommentarfaul

Obwohl es mittlerweile über 800 Millionen Facebook-Nutzer gibt, nutzen nur wenige die Möglichkeit ihren Facebook-Account zum Kommentieren zu verwenden – das ist das Ergebnis der Untersuchung. Ganze vier Prozent der Kommentatoren meldeten sich mit ihrer vermeintlichen realen Identität bei Disqus an, um Kommentare unter Artikeln zu hinterlassen. 61 Prozent hingegen wählten ein Pseudonym, 35 Prozent hinterließen gar keine Hinweise auf ihre Identität.

Der Gebrauch des Realnamens scheint Kommentatoren zu hemmen. Nutzer mit Pseudonym schrieben 4,7 Mal mehr Kommentare als diejenigen, die sich mit ihrem Facebook-Account einloggten. Anonyme Kommentatoren griffen laut Statistik noch seltener zur Tastatur, aber dies kann an einem Erhebungsfehler liegen. Denn Disqus kann nur beschränkt erfassen, ob ein anonymer Nutzer nicht bereits bei Disqus kommentiert hat.

Wer jedoch meint, dass die höhere Anzahl mit einem Qualitätsverlust einhergeht, wird von Disqus nicht bestätigt. Sie werteten die Beiträge danach aus, ob sie von anderen Nutzern beantwortet wurden und wie sie von anderen Nutzern bewertet wurden. Ergebnis: 61 Prozent der Beiträge von pseudonymen Nutzer werden als poitiv eingestuft, bei den Facebook-Nutzern sind es hingegen nur 51 Prozent. Die anonymen Nutzer liegen abgeschlagen bei 34 Prozent.

Gleichzeitig traten die pseudonymen und anonymen Kommentatoren nicht als Störenfriede auf: 11 Prozent ihrer Kommentare wurden als "negativ" eingestuft, bei Kommentatoren mit Facebook-Identität waren es mit neun Prozent nur unwesentlich weniger.

Überbewerten sollte man diese Firmenstudie freilich nicht. Disqus tut gut daran, das pseudonyme Kommentieren zu fördern, da Facebook selbst mit einem neuen Kommentar-Dienst in direkte Konkurrenz zu Disqus treten will. Doch auch in anderen Umfeldern zeigt sich, dass die Pseudonym-Nutzung nichts mit Feigheit zu tun hat. Unter Wikipedia-Autoren ist sie der Normalfall, 20 Prozent der Änderungen kommen gar von anonymen Kommentatoren.

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14 Kommentare

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  • K
    knallik

    Liebe CSU dann ist Ihnen auch die anonyme Stimmabgabe bei Wahlen ein Dorn im Auge? Unglaublich.

  • J
    jaybear

    Solange es "für Feinde" einfache Möglichkeiten des Stalkings gibt, empfinde ich Beiträge per Pseudonym als das Mindeste, was man einem/r Mitdiskutierenden einräumen muss.

     

    Meine Beiträge unter Pseudonym könnte ich immer auch unter Realnamen veröffentlichen, was ich bei diversen Themen aber nicht machen würde.

     

    Ich denke auch, das das mehr individuelle Charaktersache des jeweiligen Kommentators ist. Warum fällt mir jetzt gerade dieses Zitat von dict.leo.org ein?

    "Charakterfehler sind wie Unkraut. Sie wachsen von selbst und nehmen auch überhand, wenn sie nicht konsequent gejätet werden"

     

    ----

    PS:

    > ... verzichtet damit auf die Vorzüge der voll vernetzten Welt ...

    Sind da im Artikel nicht mindestens ein Paar "" verloren gegangen?!

  • NA
    Naked Angel

    „Bei Facebook besteht seit jeher eine Realnamenspflicht,...“

     

    Wie soll das denn funktionieren? Es ist natürlich sinnvoll sich bei Facebook mit seinem echten Namen zu registrieren, schliesslich möchte man ja finden und gefunden werden. Aber alles was man zur Anmeldung benötigt ist ein Vor- und ein Nachname, eine Email-Adresse und ein Passwort. All dies kann man sich ausdenken. Das Anlegen einer Wegwerf-Email-Adresse ist ja kein Thema.

    Auch bei google+ habe ich mich gefragt, wie wollen die eine Realnamen-Pflicht überhaupt durch-, bzw. umsetzten? Soll man persönlich in den Zentralen von Google und Facebook mit seinem Personalausweis vorstellig werden? Mit einem Internet-Einwohnermedeamt?

    Im Notfall haben die ja die IP-Adresse? Das nützt nichts, wenn der Surfer anonymisiert unterwegs ist, abgesehen davon können IP-Adressen nicht einer Person, sondern nur einem Anschluss und einem Rechner zugeordnet werden.

  • V
    vic

    Klarnamenspflicht- das würde denen so passen.

    Die können mich mal.

    vic

  • S
    Stormchaser

    Hinsichtlich Bewertung durch andere Nutzer:

     

    Kommentar (einer zugegeben rechtslastigen net-publikation) zum Mord an dem Staatsanwalt in Dachau: "Solange es nur einen Staatsanwalt trifft und keinen Menschen". Ergebnis: 41x Daumen hoch, 16x Daumen runter, Beitrag erst nach mehr als zwei Stunden entfernt. In der Disqus-Logik ein positiver Kommentar, oder habe ich das falsch verstanden?

  • A
    Anon

    Tut mir leid, aber dieses Ergebnis halte ich für nicht richtig. Allein schon, wenn man sich die ganze Herumtrollerei auf eurer Homepage unter den Artikeln anschaut ... oder auf YouTube.

     

    Ich glaube, darüber eine seriöse Studie zu erstellen, ist unrealistisch ...

     

    Es hat wohl weniger etwas damit zu tun, ob jemand unter einem Pseudonym, als "Anon(ymous)" oder unter seinem echten Namen schreibt, inwieweit das Geschriebene qualitativ hochwertig/minderwertig ist, als vielmehr mit dem Charakter des Schreiberlings, dem Thema, der Seite, etc ...

  • A
    anke

    Ich glaube nicht, dass die anonymen Internet-Pioniere die innere Logik ("Intelligenz") des Phänomens Schwarm, das sie so gern auf ihre Fahnen malen, schon in allen Facetten begriffen haben.

     

    Der Atlantische Hering zum Beispiel betreibt keine Brutpflege. Er ist weder besonders aggressiv, noch ist er besonders stark, gut getarnt oder clever. Überhaupt wendet die Art keinerlei Energie für individuelle Schutzmechanismen auf. Dafür hat sie aber jede Menge Fressfeinde. Den Hai zum Beispiel, der außer dem Menschen überhaupt keine natürlichen Feinde besitzt, der aber trotzdem vielfach vom Aussterben bedroht ist.

     

    Noch ist der Atlantische Hering einer der am häufigsten vorkommenden Fische der Erde. Es lebe der Schwarm! Der Mensch (nicht der Hai), der seit Menschengedenken vom und mit dem Atlantischen Hering gelebt hat, ist seit Kurzem dabei, das zu ändern. Ganz still und im geheimen natürlich, dafür aber um so gründlicher. So ist er, der Mensch. Also bitte: Pscht!

  • SS
    stefan seither

    So sind sie, die Unionspolitiker. Sie wollen eine totale Überwachung. Sie geben erst Ruhe, wenn jede Privatwohnung videoüberwacht ist.

  • N
    Neo

    Die Rechtsextremisten notieren jeden Ihrer Gegner.

     

    Neo, die Unbestechlichen

  • JD
    Jörg Dürre

    Wer steckt hinter Disqus? Ich finde kein Impressum dieser offensichtlich amerikanischen Firma.

     

    Ich hatte mehrfach, erfolglos auf der Diskussionsseite der Welt versucht, Energiethemen zu kommentieren.

    Man erhält keine Rückmeldung von Disqus, warum der Kommentar nicht veröffentlicht wird, damit auch keine Chance den Text ggf. moderater oder völlig anders zu formulieren.

  • P
    pekerst

    "Innenpoilitiks-Arbeitsgruppe" - Mal so ganz anonym gefragt: Was ist "Innenpoilitiks", und zwar gefragt nach "poi" und "iks"?

  • K
    Klara

    "Eine anonyme Teilhabe am politischen Meinungs- und Willensbildungsprozess ist abzulehnen."

     

    So sindse, die Totalitären. Denen ist doch bestimmt auch das Wahlgeheimnis ein Dorn im Auge.

  • M
    menschenfreund

    Selbstverständlich nutze auch ich ein Pseudonym. Dennoch ist für mich selbstverständlich, angemessen zu schrieben. Allerdings gibt es auch befremdliche Verhaltensweisen einiger Betreiber von Foren. So zum Beispiel veröffentlichte der Spiegel Online gestern die Stellungnahme von "Gezeichnet Mukhtar B.

    Öffentlichkeitsarbeit Talibankommando Süd-Afghanistan"

    mit vorsichtig formuliert Befremdlichem", eine Gegemeinung ließ SPON jedoch nicht zu.

    Sie lautete:

    Meine Antwort:

    Zeigt Ihr Schreiben nur Ihre Unfähigkeit folgerichtig zu denken oder widmen Sie sich zielgerichteter Demagogie, die gezielt und bewußt die Sachverhalte zu Ihrem „Nutzen“ verdreht?

    Klar ist, daß es sich bei dem Verhalten der US-Soldaten um eine schlimme Entgleisung handelt, die streng geahndet werden muß. Auch Sie wissen, daß solcherlei Handlungen im Westen als verwerflich angesehen werden.

    Damit dürfte dieser Sachverhalt klargestellt sein.

    Sie wissen genau, daß die Untaten Ihrer „Gotteskrieger“ der Grund waren, weshalb die westlichen Truppen in Ihrem Land sind.

    Öffentliche Hinrichtungen in Stadien, Bombardierungen in Moscheen und auf Märkten, grausamste „Bestrafung“ all derer, die auch nur gering gegen Ihre steinzeitliche „Religion“ verstoßen, sind nur ein kleiner Teil Ihrer Missetaten, die Sie besser kennen müssen, als alle Außenstehenden.

    Und Sie wagen es, sich wegen solcher Dinge zu Richtern aufzuspielen?

    Begeben Sie sich erst einmal in Klausur und versuchen Sie, einmal wieder menschlich zu werden und nicht den Islam weltweit in Mißkredit zu bringen.

    Denken Sie daran, daß es ein Unterschied ist, wenn einzelne Individuen sich vergehen oder es – wie bei Ihnen - zur „Religion“ oder „Ideologie“ gehört, systematisch Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu begehen.

    Dazu gehört auch, daß Sie mit Rauschgift, daß mittlerweile gegen 90% aus Ihrem Herrschaftsbereich kommt, gegen den Rest der Welt Krieg führen.

    Wenn Sie diese Aufgaben erledigt haben, können Sie sich in die Reihe der Zivilisierten einreihen.

  • J
    Johann

    Ich glaube auch nicht, dass pseudonyme Kommentatoren schlechter schreiben (und Johann ist nicht mein richtiger Name)

    aber ist die Bewertung durch andere Nutzer als einziger Maßstab da wirklich so geeignet?

    Sollte man sich da nicht auch die Mühe einer inhaltlichen Auswertung machen unter Kriterien wie "Bezug zum Thema", "argumentative Struktur" u.Ähnlichem?