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■ Kommentare Für rassistische Motive gibt's keine EntschuldigungEhrenwerte Fürsorge

Angesichts der Argumente, die für eine Zwangssterilisierung vorgebracht werden können, ist es eigentlich ganz natürlich, daß es diese bei uns bis in neuere Zeiten gab. Vielleicht gibt es sogar viele, die, denken sie gründlicher über das Thema nach, auch heute noch unter gewissen Voraussetzungen bereit wären, Zwangssterilisierungen zu verteidigen. Zumindest muß die These, daß Zwangssterilisierungen unter allen Umständen falsch sind, als höchst kontrovers angesehen werden. Klar ist, daß es keine Entschuldigung für rassistische Motive gibt. Diese sind verabscheuungswürdig. Für eugenische Motive gibt es ebenfalls keine sachliche Begründung. Verständlich ist allerdings, daß diesen zu einer Zeit, als die biologische Forschung noch nicht so entwickelt war, Gewicht beigemessen wurde. Was das demographische Motiv angeht, so ist Zwangssterilisierung sicher ein wirksamer Weg gegen zu schnelles Bevölkerungswachstum. Gleichzeitig ist es aber ein brutales Mittel.

Dann gibt es noch das humanitäre Motiv, das meiner Meinung nach zwar unzureichend, aber höchst ehrenwert ist. Man muß sich nur in die Rolle eines verzweifelten Fürsorgebeamten versetzen, der zusehen muß, wie ein Ehepaar notorischer Kindesmißbraucher ein Kind nach dem anderen in die Welt setzt. Die Gesellschaft ist gezwungen, sich unmittelbar nach der Geburt um die Kinder zu kümmern. Er oder sie dürfte so überlegen: Ein Kind in die Welt zu setzen, kann kein absolutes Recht sein. Es ist ein Recht, das man verwirken kann.

Heute überredet man eine solche Frau zur Abtreibung und einer damit verbundenen Sterilisation. Früher zwang man sie dazu. Der Unterschied zwischen überredung und Zwang kann in der Realität haarfein sein. Aber er muß aufrechterhalten werden. Wer für das absolute Recht, ein Kind in die Welt zu setzen, eintritt, muß sich logischerweise nicht nur jeder Zwangssterilisierung widersetzen, sondern gleichzeitig jedem Individuum das absolute Recht zugestehen, über seine Fortpflanzung allein zu entscheiden. Das beinhaltet die völlige Freiheit zum Gebrauch medizinischer Befruchtungstechniken. Ich denke zum Beispiel an lesbische Frauen, die künstlich befruchtet werden wollen, oder an ein Paar, das eine „Leihmutter“ sucht, die den Fötus austragen soll. Fortpflanzungstechniken, zu denen der Staat fast überall nein sagt. Es wäre nicht das Schlechteste, wenn sich im Gefolge der derzeitigen Entrüstung über die Zwangssterilisierungen eine freiheitlichere Sicht zu unserer Reproduktion durchsetzen würde. Torbjörn Tännsjö

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