piwik no script img

KommentarChaosminister Müntefering

Ulrike Herrmann
Kommentar von Ulrike Herrmann

Kann sich noch jemand an "Chance 50plus" erinnern? Oder an "Initiative 50plus". Nein? Kein Wunder, verschwand auch still in der Versenkung. Aber dafür kommt jetzt der nächste tolle Vorschlag.

E s scheint doch alles klar zu sein auf dem deutschen Arbeitsmarkt: Hallo, es geht aufwärts! Aber näher betrachtet verflüchtigen sich fast alle Gewissheiten, die zur Beschäftigungslage im Umlauf sind. So schien ehern festzustehen, dass Deutschland an einem eklatanten Fachkräftemangel leidet. Wer hätte noch nicht von den Klagen der Unternehmer gehört, dass mindestens 40.000 Ingenieure fehlen. Doch die Bundesagentur für Arbeit weiß von diesem Drama nichts. Kühl ließ sie gestern wissen, dass sich die Firmen nur durchringen müssten, auch Frauen oder ältere Ingenieure einzustellen. Dann hätten die Betriebe genug qualifizierte Arbeitskräfte.

Bild: taz

Ulrike Herrmann ist wirtschaftspolitische Korrespondentin der taz

An einem anderen Mythos werkelt Arbeitsminister Franz Müntefering. Er lobte gestern seine "zielführende Politik"; ihr sei der Aufschwung auf dem Arbeitsmarkt zu verdanken. Da irrt der Minister aber. Denn bisher stiftet Müntefering vor allem Chaos. Erst am Mittwoch rückte er mit seinem neuesten Vorschlag heraus: Es soll einen Kommunal-Kombilohn geben, der 100.000 Langzeitarbeitslose mit gemeinnütziger Tätigkeit versorgt. 8 Euro pro Stunde sind angedacht, die Hälfte sollen die Kommunen zahlen. Irgendwie kommt dieser Plan bekannt vor. 100.000 Langzeitarbeitslose - war da nicht was? Ach ja, richtig, da gibt es ja auch noch den "Beschäftigungszuschuss", der bereits nächste Woche im Bundestag verabschiedet werden soll. Das ist auch ein Kombilohn, aber für normale Arbeitgeber. Sie können sich bis zu 75 Prozent der Gehaltskosten erstatten lassen.

Verwirrt? Das geht auch Experten so. Immer wieder beschweren sich Arbeitsagenturen und Jobcenter über die Fülle der Maßnahmen, die sie verwalten sollen. Letztes Jahr, zum Beispiel, startete Müntefering das Programm "Chance 50plus". Wenig später folgte dann die "Initiative 50plus". Von beiden Programmen hat man seither nicht mehr viel gehört.

Ja, es geht aufwärts auf dem Arbeitsmarkt. Aber an der Regierungspolitik kann es nicht liegen. Das scheint auch Müntefering nicht wirklich zu glauben. Sonst würde er ja nicht derart hektisch ständig neue Programme mit neuen Titeln erfinden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Ulrike Herrmann
Wirtschaftsredakteurin
Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

3 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • A
    Andreas

    Journalisten sind dazu da, die Leser über Tatsachen aufzuklären und Dinge zu hinterfragen. Nichts anderes ist in diesem Artikel geschehen, dem ich völlig zustimme.

    Müntefering und seine vielgepriesenen Aktionen haben versagt und werden versagen, weil er nicht willens oder nicht fähig ist, die Tatsachen zu erkennen. Er will auf Teufel-komm-raus die Statistiken beschönigen. Nichts anderes ist das Ziel seiner "Politik". Und der Steuerzahler zahlt friedlich nickend und die Armut im Lande wächst.

  • AH
    Andrea Hössle

    Hallo,

    dieses dauernde Gemecker von Müntefering hat doch Methode. Erst wird z.B. über "Heuschrecken" geschimpft, danach werden gerade diese dann mit Steuererleichterung belohnt. Der Mittelstand und die vielen Kleinbetriebe werden werden immer mehr zur Kasse gebeten, mit immer mehr Bürokratie überhäuft. Es lässt sich ja auch kein ideologischer Klassenkampf führen mit Kleinunternehmern, die zum Teil weniger verdienen als ihre Beschäftigten. Außerdem kann man mit den Belegschaften der Großkonzerne doch so richtig schön Wahlkampf führen, vor allem, wenn dann mal wieder ein paar tausend entlassen werden sollen. Die mickrige Arbeitnehmerzahl bei Klein- und Mittelbetrieben ist da doch uninteressant.

  • JW
    Johann Weber

    Hallo liebe Schreiberling,

    ich gebe Ihnen einen guten Rat. Gehen Sie in die Politik und werden Sie Ministerin. Aber diese Verantwortung möchten Sie nicht übernehmen. Alles zu Kritisieren ist doch viel bequemer.

    Wieder eine Bestätigung, dass es richtig war mein TAZ-Abo zu kündigen.