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KommentarAgenda der Widersprüche

Ulrike Herrmann
Kommentar von Ulrike Herrmann

Wenn Deutschland wirtschaftlicher Motor Europas werden will, muss es aufhören, sich in der Wirtschaftspolitik so deutsch-chauvinistisch zu verhalten.

A uf der kommenden Regierungsklausur im August muss sich kein Minister übergangen fühlen: Von Bildung bis Klima, jedes Ressort kommt mit seinen Themen mindestens einmal vor. Widersprüche inklusive. Seltsam ist etwa, wie sich die Regierung die Globalisierung vorstellt. So will das Kabinett prüfen, ob man chinesische Staatsfonds abwehren soll, falls sie in Deutschland investieren wollen. Motto: Rettet die "deutschen" Schlüsselindustrien! Dabei wird jedoch übersehen, dass die angeblich so deutschen Firmen oft nicht mehr in deutscher Hand sind. Bei DaimlerChrysler zum Beispiel befinden sich nur noch knapp 40 Prozent der Aktien in Deutschland; bei Siemens sind es rund 46 Prozent.

taz

Ulrike Herrmann ist wirtschaftspolitische Korrespondentin der taz.

Vor allem aber passt der staatliche Schutzinstinkt nicht zu den weltwirtschaftlichen Mechanismen. Gestern meldete der Deutsche Industrie- und Handelskammertag, dass China Deutschland als Exportweltmeister ablösen dürfte. Doch der tröstende Satz folgte sofort: An 60 Prozent der chinesischen Ausfuhren seien deutsche Firmen beteiligt. Der Exporterfolg bleibt in der Konzernfamilie. Es ergibt sich ein schräges Gesamtbild: Deutsche Firmen dürfen in China investieren. Aber wehe, die Chinesen entdecken die deutschen Betriebe.

Dieser deutsche Chauvinismus zeigt sich auch beim Klausurthema Facharbeitermangel. Erst hat man den Bürgern der östlichen EU-Länder jahrelang signalisiert, dass sie nicht willkommen sind, indem die Freizügigkeit rigide beschränkt wurde. Jetzt stellt man plötzlich fest, dass einige von ihnen doch ganz nützlich wären.

Deutschland will "Motor Europas" bei der Globalisierung werden. Doch die Bundesregierung schätzt es gar nicht, wenn globale Institutionen Deutschland kritisieren. Erst in dieser Woche hat der UN-Sonderinspektor Vernor Muñoz erneut moniert, dass das selektive deutsche Bildungssystem die Menschenrechte der Migrantenkinder verletzt. Doch dass die Regierung bei ihrem Klausurthema "Integration" das dreigliedrige Schulsystem hinterfragen wird, ist leider nicht zu erwarten.

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Ulrike Herrmann
Wirtschaftsredakteurin
Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).
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1 Kommentar

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  • AT
    Andreas Thomsen

    Sehr geehrte Frau Herrmann,

     

    Ein gewisses Misstrauen gegen ausländische staatliche Investoren ist doch logisch: eben hat man uns noch gepredigt, die neue Weltwirtschaftsordnung, auch "Globalisierung" mache es nötig, unsere Staatsbetriebe zu privatisieren - und jetzt sollen sie wieder in staatliche Hände gelangen, nur diesmal in solche, auf die wir keinen Einfluss haben.

     

    Nehmen wir die Energiewirtschaft: da gab es mal die Hamburger Elektrizitätswerke HEW. Die wurden privatisiert und irgendwann Teil von Vattenfall Europe - der Energiemarkt erforderte das angeblich.

     

    Nun erfahren wir anläßlich der Probleme in Brunsbüttel, dass Vattenfall eine staatliche Firma ist - aber eine schwedische. Warum kann der schwedische Staat einen deutschen Energiekonzern besitzen und damit offenbar noch gutes Geld verdienen, der Stadtstaat Hamburg aber nicht?

    Immerhin ist die schwedische Wirtschaftskraft wohl nur ca. viermal so groß wie die Hamburgs?

     

    Der Eindruck, daß bei solcher Privatisierung einfach Staatsvermögen verschleudert wird, und die Erträge dieser Transaktionen dann verfrühstückt werden, ist nicht ganz von der Hand zu weisen.

     

    Und zum Beispiel Gazprom ist wohl als "staatsnahes" russisches Unternehmen zu bezeichnen, und als politisches Instrument in der Hand der russischen Regierung. Auch deshalb hat es ein besonderes Geschmäckle, wenn unser großer Reformator und Privatisierer Gerhard Schröder glatt und ohne Umschweife zu einer Firma gewechselt ist, die großenteils vom größten russischen staatsnahen Konzern kontrolliert wird.

     

    Die Kritik daran hat mit "Chauvinismus" überhaupt nichts zu tun, wohl aber vielleicht mit der allmäglich dämmernden Erkenntnis, auf welchen Weg man sich in den letzten Jahren begeben hat (siehe z.B. auch die ehemaligen Farbwerke Hoechst, dann Aventis, jetzt Sanofi) - beim Fall Airbus hat man jetzt wohl endlich die Augen geöffnet.

     

    Mit freundlichen Grüßen

     

    A. Th.