Kommentar: Quadratur des Kreiswehrersatzamts
Sozialdemokratischer kann ein Kompromiss nicht sein: Wehrpflicht ja, aber nur für die, die sich dazu "bereit erklärt haben". Da hätten sie besser die Wehrpflicht gleich ganz abgeschafft.
Ralph Bollmann ist Ressortleiter Inland der taz.
Sozialdemokratischer hätte man es kaum formulieren können. Die Wehrpflicht "fortentwickeln", indem nur noch diejenigen einberufen werden, die sich zuvor dazu "bereit erklärt haben"? Bei allem Verständnis für die Mühen politischer Kompromisse: Das ist eine Logik, der man schwerlich folgen kann - zumal die Formulierungen des Parteitagsantrags die entscheidende Frage offenlassen, ob das Prinzip der Freiwilligkeit künftig auch für den Zivildienst gelten soll.
Besser wäre es gewesen, die SPD hätte sich zur vollständigen Abschaffung der Wehrpflicht durchgerungen, auch wenn der Koalitionspartner CDU/CSU vorerst am Rekrutenmodell festhält. Der Zwangsdienst in der Kaserne oder im Altenheim ist - neben der Gefängnisstrafe - der schärfste Eingriff des Staates in die Freiheitsrechte des Einzelnen. Das sichtbarste Zeichen die Besitzergreifung des Staates vom Körper seiner Bürger, die demütigende Prozedur der Musterung, will die SPD jedoch sogar beibehalten.
Ein so gravierender Eingriff bedarf einer nicht minder gewichtigen Begründung. Gegen die Alternative einer Berufsarmee wird gerne ins Feld geführt, dass nur die Wehrpflicht ausufernde Bundeswehreinsätze überall auf der Welt verhindern könne. Das Argument ist allerdings zweifelhaft, weil es die Wehrpflichtigen zum bloßen Mittel für einen politischen Zweck macht. Es ist zudem politisch falsch, weil sich die Wehrpflicht bei keinem der bisherigen Auslandseinsätze als Hemmschuh erwiesen hat.
Die Sorge, dass sich im Zweifel eher Frustrierte, Chancenlose oder politisch Rechtslastige freiwillig zur Bundeswehr melden könnten, ist dagegen durchaus berechtigt. Will man das vermeiden, müsste man allerdings den Zivildienst abschaffen. Im vorigen Jahr dokumentierte eine interne Studie der Bundeswehr, dass schon heute vor allem junge Männer mit niedrigem Bildungsniveau oder aus benachteiligten Regionen zur Bundeswehr gehen.
Es ist zwar richtig, dass die Wehrpflicht historisch eher ein Kind der Demokratie ist - allerdings einer durchmilitarisierten Gesellschaft männlicher Staatsbürger. In ein emanzipiertes Gemeinwesen, das die Sozialdemokratie sonst propagiert, passt sie nicht.
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