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KommentarSymbolfigur für Gewalt

Gastkommentar von Bahman Nirumand

Die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen die Brüder der ermordeten Deutsch-Türkin Hatun Sürücü hat ernorme Symbolkraft. Nur so können Nachahmungstäter abgeschreckt werden.

D er Mord an Hatun Sürücü hat diese zu einer Symbolfigur für Gewalt in patriarchalischen Einwandererfamilien gemacht. Dass der Prozess um ihre Ermordung nun neu eröffnet wird, ist eine gute Nachricht. Denn der Freispruch, mit dem das Berliner Landgericht im April 2006 zwei der drei angeklagten Brüder der Ermordeten aus dem Verfahren entließ, trug für viele Beobachter einen bitteren Nachgeschmack. Zu sehr ähnelten die Tat und ihre Vorgeschichte dem klassischen Muster eines traditionellen "Ehrenmords", wie er in rückschrittlichen Regionen nicht nur der Türkei im Familienverband geplant wird: Dabei wird oft der jüngste Bruder als Täter ausgewählt, weil er die mildeste Haftstrafe zu befürchten hat.

Auch Hatun Sürücü war im Februar 2005 von ihrem jüngsten Bruder erschossen worden; er gestand den Mord bereits am ersten Prozesstag ein. Angeklagt wurden jedoch auch zwei ältere Brüder, die an der Planung der Tat beteiligt gewesen sein und die Waffe besorgt haben sollen. Die Exfreundin des Täters, auf deren Aussage dieser Vorwurf fußte, ging damit ein hohes Risiko ein: Immer noch lebt sie versteckt im Zeugenschutzprogramm.

Den Umgang mit den Aussagen dieser Zeugin hat der Bundesgerichtshof nun kritisiert: Das ist eine heftige Ohrfeige für das Berliner Gericht, das die älteren Brüder freigesprochen hat. Diese leben heute zwar in der Türkei, werden aber zum neuen Verfahren wieder vor Gericht stehen müssen.

Die Wiederaufnahme des Verfahrens wird nun wieder der Frage Auftrieb geben, ob sich die deutsche Justiz gegenüber dem Phänomen solcher Morde im Namen der Ehre zu zahnlos zeigt. Doch das lässt sich nicht belegen. Der Mörder von Hatun Sürücü hat eine hohe Strafe erhalten. Und ob seine älteren Bruder jetzt ein anderes Urteil zu erwarten haben, steht noch längst nicht fest. Doch selbst wenn sie erneut freigesprochen werden sollten, hat die Wiederaufnahme des Verfahrens eine enorme Symbolkraft: Denn erst wenn auch die Mitwisser und Unterstützer solcher "Ehrenmorde" mit einer Bestrafung rechnen müssen, werden Nachahmungstäter abgeschreckt. Nur so kann solchen Taten in Zukunft Einhalt geboten werden.

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Kolumnistin taz.stadtland
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