Kommentar: Schröders langer Schatten

Der SPD geht es nicht mies, weil Kurt Beck stoffelig wirkt oder dem Publikum der Flügelstreit auf die Nerven fällt. Das Problem der SPD ist, dass sie in Schröders Schatten steht - noch immer.

Der SPD geht es schlecht. Die Umfragen sind ernüchternd, ihr Chef Kurt Beck ist unbeliebt. Jetzt kommt auch noch der Flügelstreit zwischen den Rechten um Peer Steinbrück und den Linken um Andrea Nahles hinzu. So deuten es viele - aber das ist nur die Oberfläche. Denn der SPD geht es nicht mies, weil Kurt Beck stoffelig wirkt oder dem Publikum der Flügelstreit auf die Nerven fällt. Die Krise der SPD erklärt sich auch nicht aus der undankbaren Rolle, als kleinerer Koalitionspartner in Merkels Schatten zu stehen. Das Problem der SPD ist, dass sie in Schröders Schatten steht - noch immer.

Eigentlich müsste es der SPD blendend gehen. Die Wähler wollen mehr Staat und weniger Privatisierung, mehr Gleichheit und weniger krasse Unterschiede zwischen Arm und Reich. Die Republik denkt und fühlt sozialdemokratisch - doch die SPD hat nichts davon. Das liegt nicht daran, dass Merkel den SPD-Sound so perfekt imitiert, sondern daran, dass die SPD das Copyright für ihre eigenen Werte abgegeben hat. Es gibt den lauten Wunsch nach Gerechtigkeit, aber die SPD ist taub dafür.

Die SPD-Minister haben die Rente mit 67 forciert, eine Unternehmensteuerreform durchgesetzt, die vor allem den Konzernen nutzt, und planen eine Bahnprivatisierung, die riskant zu nennen eine Untertreibung ist. Sozialdemokraten, die all dies nicht ganz toll finden, gelten als "sozialkonservativ" und vorgestrig. In dem "Heulsusen"-Vorwurf von Steinbrück kommt die ganze Verachtung zum Ausdruck, die die Agenda-2010-Fraktion für die Partei und deren Traditionen übrig hat.

Die SPD hat das Sensorium für Stimmungen verloren. Warum? Zum einen kann die SPD die Agenda 2010 in der Tat nicht einfach revidieren, weil sie damit ja auch alle Opfer, die sie selbst dafür gebracht hat, dementieren müsste. Insofern ist sie eine Gefangene ihrer Vergangenheit. Die Agenda 2010 wiederum war das Ergebnis eines Lernprozesses aus den 90er-Jahren. Damals hatte die Partei erfolglos versucht, die außenpolitische Normalisierung Deutschlands zu verschleppen, die die Union vorantrieb. Als der Umbau des Sozialstaates anstand, wollte die Schröder-SPD keinesfalls wieder im Bremserhäuschen sitzen, sondern frohen Herzens vorneweg marschieren und das scheinbar Unvermeidliche selbst exekutieren. Das Resultat ist eine Partei, der ihr Selbstverständnis zwischen den Fingern zerronnen ist.

Und nun? Beim Mindestlohn hat die SPD Schritte in die richtige Richtung gemacht. Um sich mit sich selbst zu versöhnen, müsste sie die Agenda 2010 ohne viel Aufhebens zu den Akten legen und Steinbrück & Co. in die Schranken weisen. Es ist zweifelhaft, ob Kurt Beck dafür der richtige Vorsitzende ist.

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Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

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