Kommentar: Der lange Weg nach Westen
Berlins Linke will ihre Regierungsbeteiligung als Erfolgsmodell anpreisen. Aber warum gerade jetzt?
Würde man Berlins Linkspartei nicht kennen, ließe sich deren jüngste Ankündigung als Palaver abtun: Einen "politischen Exportschlager" nämlich wollen die Sozialisten aus dem hiesigen rot-roten Bündnis machen. "Haushaltskonsolidierung mit sozialer Verantwortung", sanfte Umsetzung der Hartz-Reformen und Mindestlohn bei öffentlichen Aufträgen - dies sind Pfunde, mit denen die Partei wuchern will. Das Erstaunliche ist nicht, dass die Hauptstadt-Linken sich ausgiebig als Vorbild preisen, sondern dass sie es erst jetzt tun.
Obwohl Rot-Rot seit sechs Jahren regiert, wollten die Linken bislang nicht den langen Weg nach Westen einschlagen. Vielmehr wurden sie immer stiller, je lauter und selbstbewusster Oskar Lafontaine und Gregor Gysi das Projekt "gesamtdeutsche Linkspartei" propagierten. Die Bundespartei unterwarf sich der Strategie Lafontaines, sich als Opposition zu so ziemlich allem anzupreisen. Die Wahlerfolge schienen dem Partei- und Fraktionschef Recht zu geben. Bis jetzt.
Nach den Wahlerfolgen in Hessen und Hamburg wollen die Pragmatiker sich nicht mehr verstecken. Allen voran die derzeit einzige rot-rote Koalition auf Landesebene. Berlins Genossen wollen sich nicht mehr für ihre schmerzliche Auseinandersetzung mit wirtschaftlichen Zwängen von Lafontaine als "rechte Sozialdemokraten" beschimpfen lassen. Der lange unterdrückte Richtungskampf ist ausgebrochen, und die Berliner haben mit ihrem Wort vom "Exportschlager" eindeutig Position bezogen.
In der "alten" Linkspartei, also vor der Vereinigung mit der WASG, stammte jedes sechste Parteimitglied aus Berlin. Das sicherte den Pragmatikern erheblichen internen Einfluss. Doch diese Macht schwindet.
Wer wird den Richtungsstreit gewinnen? Die Pragmatiker schaffen es nur, wenn sie überzeugend darstellen können: Ohne uns ginge es vielen Menschen schlechter. Diese Botschaft müssen sie im Westen verbreiten. Es wird ein langer Weg werden.
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