■ Kommentar: Herrische Bahnbarone
Die Bahn AG gebärdet sich in der Stadt wie einst die Eisenbahnbarone im England des 19. Jahrhunderts. Für die neuen Bahnhöfe und Schienentrassen heuert und feuert sie herrisch Architekten sowie deren Entwürfe. Gerade so, als wären deren städtebaulichen und planerischen Konzepte nur dann recht, wenn sie ausreichend Rendite versprechen. Und schietegal ist den Eisenbahnern, ob die Verkehrsbauwerke ins Stadtbild passen. War es in der vergangenen Woche die filigrane Stahlbrücke über den Humboldthafen, die ihnen nicht paßte, mußte jetzt der preisgekrönte Bahnhof Gesundbrunnen von Axel Oestreich dran glauben. Dort realisiert der Projektentwickler der Bahn AG, die ECE, ein großes Kinocenter. Statt des Architektenentwurfs sollen nun die ECE-Bauzeichner die Empfangshalle gleich mitmachen: billiger, schneller und ganz im Sinne des Bahn-Mottos „Erlebniswelt mit Gleisanschluß“.
Daß der Senat bei solcherlei Eskapaden tatenlos zuguckt, ist ärgerlich – geht es doch um zentrale Orte in der Stadt. Es ist nicht das erste Mal, daß die Bahn AG das Hoheitsrecht kommunaler Stadtentwicklung als ihre Sache sieht: Beim Lehrter Zentralbahnhof verzichtete sie auf einen Wettbewerb. Am Bahnhof Papestraße will sie dem Bezirk ein massiges Parkhaus aufzwingen. Schließlich kippte sie den Calatrava-Entwurf für den Bahnhof Spandau. Bahnhöfe jedoch sind städtische Knotenpunkte der Mobilität und Urbanität. Dort begegnen sich tägliche Hunderttausende. Zugleich strahlen Bahnhöfe weit in die umliegenden Quartiere hinein. Schon darum muß der Senat die Bahnbarone an den Tisch zwingen und seinerseits formulieren, was er für eine Planung, für Gebäude, und was er für ein Bahnhofsviertel jeweils will. Tut er das nicht, legt die Bahn die Stadt weiter auf die Schienen... Rolf Lautenschläger
Siehe Meldung Seite 22
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