■ Kommentar: Alle Jahre wieder
Die Kälteperiode ist angebrochen, und in besinnlich vorweihnachtlicher Fürsorge wird die jährliche Gretchenfrage gestellt: Wie geht es den Obdachlosen auf der Straße? Die Antwort aus den letzten Jahren gilt auch für dieses und die nächsten: Den etwa 3.000 Obdachlosen, die auf der Straße leben, geht es gesundheitlich fast immer schlecht. Von Krankenhäusern rausgeschmissen gelten sie als negativer Kostenfaktor. Die unbequemen Zeitgenossen werden als Streßfaktoren aussortiert. Irgendwie finden die meisten trotzdem nachts ein Dach überm Kopf. Wie viele auf der Strecke bleiben, wird dann im Frühjahr statistisch ausgewertet.
Erkranken kann man im Winter aber auch tagsüber. Deshalb war es bisher stadtpolitischer Konsens, bei Kälte bis zu den Schließungszeiten Obdachlosen den Aufenthalt in den U- und S-Bahnhöfen zu gestatten. Zur Zeit ist das auch noch zu beobachten. Das darf sich nicht ändern! Eine konzertierte Aktion sauberes Berlin à la Landowsky durch BVG und Bahn-AG wäre das letzte. Hier geht es um moralische Sauberkeit, nicht um den Kostenfaktor X für das Entfernen von Kippen, Bierbüchsen und Menschen als Maß der (Sauberkeits)-Dinge.
Es ist unverständlich, aber typisch, daß bisher noch kein vorsorgliches Machtwort des Senats zu vernehmen ist, den Konsens der letzten Jahre einzufordern. Droht den Obdachlosen wirklich der Rausschmiß durch BVG und Bahn-AG, müssen andere Empörte für den Senat einspringen. Das macht dann mehr Sinn, als hinterher betroffen die Leichen zu zählen. Michael Haberkorn
Der Autor ist sozialpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Bericht Seite 24
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