Kommentar: Explodiert der Kessel?
■ Arbeitslose und das Vorbild Frankreich
Sie haben Edel-Buffets leergeräumt, Ämter blockiert, die Börse besetzt und Straßen in Besitz genommen: In Frankreich handeln die Arbeitslosen, zumindest eine radikale Minderheit, im revolutionären Stil. Deutschland hat fast fünf Millionen Arbeitslose, darunter viele, die nichts mehr zu verlieren haben. Warum bleibt es so still, auch in der Arbeitslosen-Hochburg Bremen?
Arbeitslosigkeit gilt noch immer als persönlicher Makel, wird verschämt verschwiegen. Es gehört noch immer Mut dazu, sich zu den Ausgemusterten zu bekennen. Arbeitslose treten nicht im Kollektiv auf. Sie haben auch keine Heimat, keine Organisation, die ihre Interessen vertritt, obwohl das Leben zwischen Arbeitsamt, Gelegenheitsjob und Beschäftigungsmaßnahme für Hunderttausende die einzig realistische Perspektive darstellt. Die Gewerkschaften öffnen sich zwar allmählich. Aber von ihrer Logik her bleiben sie doch Interessenvertreter derjenigen, die noch Arbeit haben. Es ist nicht anzunehmen, daß Gewerkschafter einen Protest wie in Frankreich organisieren, bei dem auch die Masse mitmachen könnte.
Aber die wenigen aktiven Arbeitslosen sind dabei, sich zu radikalisieren. Das ist ein schwerer Schritt für 50jährige, die ihr Leben lang an Disziplin und ehrliche Arbeit gegen gutes Geld gewohnt waren. Aber wenn der Druck weiter steigt, wird der Kessel irgendwann explodieren. Joachim Fahrun
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen