Kommentar: Anfang einer neuen Medienpräsenz?
■ Die Arbeitsloseninitiativen rufen zum Aktionstag auf
3,4 Millionen Arbeitsplätze sind in Deutschland seit 1990 weggefallen. Was machen diese Leute eigentlich heute? Frustriert Mann und Kind versorgen? Alle drei Monate zum Arbeitsamt pilgern und die Wartezeit absitzen? Schwarzarbeiten? Wie es den Erwerbslosen geht und ob sie einen Wiedereinstieg in den Beruf schaffen oder nicht, das war bisher kein Thema für die Abendnachrichten. Zu individuell sind die Schicksale nach einer Entlassung. Wer in die „Tagesschau“ kam, das waren Gruppen protestierender FacharbeiterInnen vor den Massenentlassungen in Werften und Zechen. Der morgige Aktionstag der Arbeitsloseninitiativen könnte nun – vielleicht zum erstenmal – den Schicksalen danach Stimme und Ausdruck verleihen. Wenn genügend Leute kommen. Gehen tatsächlich Zehntausende Erwerbslose auf die Straßen, hält auch das Fernsehen länger drauf.
In Frankreich besetzen Arbeitslose schon seit Wochen die Behörden und stürmen Luxusrestaurants. Austern schlürfen im Edelbistro! Das hat Symbolkraft. Bei uns herrscht Ruhe. Was nicht zuletzt daran liegt, daß Arbeitslose in Frankreich erheblich weniger Stütze bekommen als die deutschen Leidensgenossen. Doch der Druck auf die Arbeitslosen auch hierzulande steigt.
Mehr als 300.000 Plätze in ABM und Weiterbildung wurden innerhalb eines Jahres abgebaut. Was die CDU/CSU jetzt als „Beschäftigungsinitiative“ verkauft, sind letztlich nur Appelle und ein Minimalprogramm für Schulabgänger ohne Abschluß. Eine Initiative, die dokumentiert, daß es endgültig vorbei ist mit den flächendeckenden Beschäftigungsprogrammen der Nachwendezeit.
Die Erwerbslosen sind zudem neuen Disziplinierungsmaßnahmen ausgesetzt, wie einer unsinnigen Meldepflicht. Das nagt am Selbstwertgefühl. Der Zeitpunkt für eine Mobilisierung ist gut.
Die gewerkschaftlichen Arbeitslosengruppen und andere Initiativen fordern mit dem Aktionstag eine neue Beschäftigungspolitik und wollen künftig allmonatlich, immer wenn die Arbeitslosenzahlen verkündet werden, auf die Straße gehen. Dem gewohnten Ritual der Verkündung der Zahlen im Fernsehen würden dann allmonatlich Bilder mit Gesichtern, Stimmen, Hoffnungen beigefügt. Die Wirkung dessen sollte man nicht unterschätzen. Bleibt die Kardinalfrage: Wer macht morgen mit? Barbara Dribbusch
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