Kommentar: Der ungewisse Friede
■ In Nordirland wurden die grundsätzlichen Probleme bisher nur vertagt
Es müsse allen Seiten weh tun, wenn es funktionieren solle, so der ehemalige US- Senator George Mitchell zum Abschluß der nordirischen Friedensverhandlungen. Doch von einem ausgewogenen Abkommen kann keine Rede sein, denn die Zugeständnisse an die irischen Nationalisten sind bloße Kosmetik. Zum Beispiel die gesamtirischen Institutionen: Zusammenarbeit in den Bereichen Tourismus, Erhaltung der grenzüberschreitenden Wasserstraßen und Bekämpfung von Tierkrankheiten – all dies wird nun als Kompromiß verkauft, obwohl es bereits in der Vergangenheit existierte.
Auch das Versprechen der britischen Regierung, einem vereinigten Irland zuzustimmen, falls eine Mehrheit in Nordirland das wünscht, ist nicht neu. Seit 1949 hat London dies schon viermal vertraglich zugesichert. Im Gegenzug streicht die Republik Irland ihren Anspruch auf Nordirland aus ihrer Verfassung.
Das Abkommen ist ein Rettungsanker für die zerstrittenen Unionisten. Ihr Chef David Trimble kann nun zu Recht behaupten, daß die Nationalisten erstmals die Teilung Irlands akzeptieren. Auch der britischen Regierung fiel in letzter Sekunde auf, daß der Vertrag eine starke Schlagseite hat. So stellte man die Freilassung der politischen Gefangenen in Aussicht – falls die IRA ihre Waffen herausrückt und Sinn Féin am Kabinettstisch unter Trimbles Führung Platz nimmt. In diesem Fall wäre eine Spaltung beider Organisationen geradezu vorprogrammiert. Im anderen Fall würde das Abkommen scheitern, und Nordirland würde wieder direkt von London regiert. Die Unionisten könnten mit beiden Alternativen prima leben.
Die Iren in Süd und Nord werden das Abkommen beim Volksentscheid am 22. Mai absegnen, keine Frage. In den Ghettos Nordirlands hat fast jeder Bekannte im Gefängnis oder auf dem Friedhof – oder beides. Wenn das Abkommen wenigstens dazu führen würde, daß der Konflikt künftig nur noch politisch ausgetragen würde, wäre einiges gewonnen. Doch die Voraussetzungen dafür, demokratische Strukturen, fehlen noch immer.
Darum ging es den drei Regierungschefs auch gar nicht: Blair, Ahern und Clinton wollten die Sache ohne Gesichtsverlust hinter sich bringen. Sollte es später schiefgehen, waren halt die verbohrten Iren daran schuld. Weil man die grundlegenden Probleme bloß vertagte, wird die Gewalt wiederkehren. Ralf Sotscheck
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen