■ Kommentar: Die neue soziale Frage
Innenstadtkonferenzen gegen „Verslumung“, Wertausgleich zugunsten „abstürzender“ Bezirke, Erwerbslosenproteste: überall in Berlin wird derzeit, so scheint es, die soziale Frage neu gestellt. Es fragt sich nur welche? Geht es tatsächlich um die Probleme der Armen? Oder vielmehr um die Ängste derer, die mit der zunehmenden Armut Probleme haben?
Wirft man einen Blick auf die jüngsten Koalitionsbeschlüsse in Sachen Wohnungspolitik, wird deutlich, wer in wessen Namen die soziale Frage stellt. Da setzt sich Bausenator Klemann mit seiner Forderung nach Abschaffung respektive Kürzung der Fehlbelegungsabgabe durch und wird sogleich von der Finanzsenatorin ausgekontert. Um die entstehende Haushaltslücke zu stopfen, soll der Restbestand am sozialen Wohnungsbau gestrichen werden.
Nun könnte man sagen, das sei nicht mehr als das schon übliche Geplänkel zwischen der „neuen“ CDU-Sozial- und der SPD-Finanzpolitik. Oder ein etwas kurioser Schlagabtausch, bei dem – zum x-ten Male in der Großen Koalition – der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben wird. Tatsächlich jedoch wird mit diesem Hin und Her endgültig die alte soziale Frage beerdigt. Sowohl die Abschaffung der Fehlbelegungsabgabe als auch die Streichung der Neubauförderung gehen – so unterschiedlich sie parteipolitisch motiviert sein mögen – in dieselbe Richtung. Sie unterstellen das Ende der Wohnungsnot und die Notwendigkeit, Besserverdienenden ein finanzielles Bleiberecht in der Innenstadt zu verschaffen. Für die tatsächlich Armen bleibt nach dieser Umdeutung der sozialen Frage kein Geld mehr. Aber was sind schon Zehntausende, die eine preiswerte Wohnung suchen, gegen zehn Prozent an Fehlbelegern, deren Bevorteilung nun mit der endgültigen Abschaffung des sozialen Wohnungsbaus bezahlt wird? Da ist die neue soziale Frage. Uwe Rada
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