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KommentarZwiespältiges Urteil

■ Bundesverwaltungsgericht beschließt, daß die A 20 weitergebaut wird

Die Ostsee-Autobahn südlich von Lübeck wird weitergebaut. So haben die Verwaltungsrichter gestern entschieden. Doch die Autobahnliebhaber haben nur kurz Grund zur Freude gehabt. Denn die Urteilsbegründung wird sowohl bei Asphaltfreunden als auch bei der Transrapidgesellschaft zumindest ein mulmiges Gefühl, vermutlich sogar Panik ausgelöst haben. Denn die Richter haben ganz klar gesagt, daß Schluß ist mit der Ignoranz gegenüber der europäischen Naturschutzrichtlinie. Sie erhoben schwere Vorwürfe gegen die Politik in Bonn und Schleswig-Holstein, die jahrelang die Umsetzung der Flora- Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH) versäumt hat. Bis zum 5. Juni 1998 räumten die Richter noch eine Galgenfrist ein, danach muß die staatliche Planung die FFH- Richtlinie beachten, egal ob die Gebiete schon nach Brüssel gemeldet sind oder nicht. Die Richter haben verdeutlicht, daß die Entscheidung über ein europäisches Naturschutzgebiet nicht im politischen Ermessen liegt, sondern nach wissenschaftlichen Kriterien erfolgen muß.

Bei der Transrapidgesellschaft in Schwerin dürfte das Urteil ähnlich zwiespältige Reaktionen auslösen wie bei der Bahn, die zwischen Köln und Frankfurt am Main eine ICE-Trasse plant. Umweltschützer haben hier wie dort nämlich schon FFH-relevante Tier- und Pflanzenarten entdeckt. Wenn sich das gestrige Urteil auf die Rechtsprechung niederschlägt, werden es Gefälligkeitsgutachten wie bei der Ostsee-Autobahn bei Lübeck schwerer haben. Dort hatte ein Professor eine Einschätzung abgegeben, ohne daß er je vor Ort war. Künftig werden europäische Gutachter darauf achten, daß es bei der Aufhebung eines FFH-Gebietes mit rechten Dingen zugeht. Zwar wird auch künftig ein FFH-Gebiet der Natur keinen vollkommenen Schutz bieten, denn laut FFH- Richtlinie darf bei „überragendem öffentlichem Interesse“ dennoch gebaut werden. Doch dieses überragende öffentliche Interesse muß zukünftig in Brüssel begründet werden. Gutachten aus dem eigenen Dunstkreis zu lancieren ist damit schwieriger geworden. Die Transrapidgesellschaft hat die Zeichen der Zeit bereits im Januar erkannt, als die Bundesrichter die Ostsee- Autobahn mit Blick auf die FFH-Richtlinie stoppten. Seither ist oft vom überragenden öffentlichen Interesse der Region am Transrapid die Rede. Und der Export spielt nur eine zweitrangige Rolle. Anne Barthel

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