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KommentarNationales Gefühl

■ Martin Walser erhält den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels

Für den Frieden sind bekanntlich alle und Schriftsteller im besonderen. Ganz bestimmt auch Martin Walser, der in diesem Jahr mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geehrt wird. Walser erhält die Auszeichnung, die am 11. Oktober zum Abschluß der Frankfurter Buchmesse verliehen wird, für sein „literarisches Werk“; doch der Friedenspreis ist vor allem ein politischer Preis. Der Streit, den Günter Grass mit seiner Laudatio auf den letztjährigen Preisträger Yasar Kemal auslöste, oder die hitzige Debatte um die Orientalistin Annemarie Schimmel 1995 zeugen davon.

Auch die Wahl Martin Walsers wird kaum unumstritten bleiben. Walser ist zweifellos ein politischer Autor, der in seinem Werk immer wieder liebevoll die deutsche Gesellschaft als Provinz und die Nöte der deutschen Kleinbürgerseele analysiert. Der Gastwirtsohn aus Wasserburg am Bodensee hat ja selber eine und entgeht schon deshalb der Gefahr, seinen Gegenstand zu denunzieren. Als politisch engagierter Staatsbürger hat Walser sich jedoch in den vergangenen Jahren mehr und mehr abgemeldet. Das alltägliche Geschäft des Meinens und Dafürhaltens lehnt er entschieden ab und kündigte in einem Interview mit der Zeitschrift NDL im Januar an, in Zukunft auch keine Interviews mehr geben zu wollen. Eine Woche später ließ er listig ein „Meta-Interview“ im Spiegel folgen. Allein dafür hätte er ganz bestimmt den Spezialpreis jeder Jury verdient. Aber gleich den Friedenspreis?

Statt des Meinens setzte Walser seit Mitte der 80er Jahre verstärkt aufs Empfinden und auf sein „nationales Gefühl“. Mit seinem Leiden an der deutschen Teilung provozierte er damals die westdeutsche Linke, für die die Einheit ein Tabuthema war – und wer dafür eintrat, ein Nationalist. Jetzt bekommt er dafür, daß die Geschichte ihm recht gegeben hat, den Friedenspreis. Walser habe, so heißt es in der Begründung des Börsenvereins, „mit seiner Kritik an der deutschen Teilung, die er schon früh als überwindbaren Zwischenzustand bezeichnete, eine Forderung vorweggenommen, deren Einlösung später von den Menschen in der DDR erzwungen wurde“. Das stimmt. Darin bereits eine preiswürdige Leistung zu sehen zeigt, wie sehr die Deutschen damit beschäftigt sind, ihre nationale Einheit erst noch zu konstruieren. Der Nationalpreis für Einheitsheros Wolf Biermann liegt ja erst wenige Wochen zurück. Jörg Magenau

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