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KommentarDer falsche Feind

■ Die Gewalt der Hooligans offenbart einen verzerrten europäischen Blick

Rund um den Fußball geht es zu wie im richtigen Leben. Und da kommt die Bedrohung noch stets in Gestalt von fremdländischen Menschen über uns. Um sie abzuwehren, scheut Europa deshalb bei der Grenzsicherung bekanntlich keine Mühen. Es reicht nicht aus. Die finsteren Mächte leben bereits in unserer Nachbarschaft. Ende Mai, nach einer europaweiten Razzia, wußte es jeder: Der WM-Frieden wird von fanatischen islamistischen Extremisten bedroht. Vor allem der algerischen Untergrundorganisation Bewaffnete Islamische Gruppen (GIA) traute man die Heimtücke zu, die WM als Bühne ihrer blutrünstigen Politik zu nutzen. Auch bei den Kickern aus dem Iran spekulierte der eine oder andere, ob sie neben Massageöl und Fußballschuhen die explosive Grundausstattung eines Märtyrers im Namen Allahs im Gepäck haben könnten.

Natürlich ist der GIA ein Anschlag zuzutrauen. Es wäre naiv, sich nicht darauf einzustellen. Allerdings haben die Ausschreitungen englischer und deutscher Hooligans und Neonazis eine verzerrte Perspektive offenbart. Bedroht wird der Friede weniger von Islamisten, gefährlich ist der Fundamentalismus, der den europäischen Gesellschaften entspringt. Und der ist, dies gilt für Deutschland in besonderem Maße, allemal rassistisch und nationalsozialistisch geprägt.

Die europäische Öffentlichkeit wurde zwar auf islamistische Störversuche anläßlich der WM vorbereitet, nicht aber auf „Heil Hitler!“ skandierende Schläger und Neonazis. Warum? Die Argumente sind bekannt: Es sind Randgruppen, unpolitische dazu, die man nicht aufwerten möchte, denen man aber im Zweifelsfall mit der ganzen Härte des Gesetzes begegnen werde. Ansonsten sind wir Deutschen zivilgesellschaftlich völlig okay. Man kann die Sache aber durchaus anders sehen. Die bundesdeutsche Gesellschaft weigert sich hartnäckig, den gewalttätigen und völkischen Aufbruch eines Teils ihrer jüngeren Bürger in ihrer ganzen Tragweite zur Kenntnis zu nehmen. Leichter läßt sich da über die Gefährdung der inneren Sicherheit durch Eindringlinge schwadronieren.

Wie würden die Krawalle von Lens diskutiert, hätten einige hundert iranische Jugendliche den Polizisten im Namen irgendeines Mullahs fast zu Tode geprügelt? Ein Politikum internationalen Ausmaßes wäre es, mit weitreichenden Konsequenzen für Teheran. Bonn werden diese erspart bleiben. Eberhard Seidel-Pielen

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