Kommentar: Politik der Namen
■ Michael Naumann soll Schröders Staatsminister für Kultur werden
Das Gespür für symbolische Inszenierungen ist beeindruckend. Wo die politischen Gegner alle Mühe damit haben, ihren Überzeugungen das richtige Wahlkampfdesign zu verpassen, macht Schröder Politik mit Namen. Der jüngste Coup ist die Besetzung eines künftigen Staatsministers für Kultur im Kanzleramt mit dem Journalisten und früheren Rowohlt-Verleger Michael Naumann. Nicht der Name ist das Programm, sondern die Platzanweisung. Mit einer einfachen Personalie für sein Schattenkabinett entscheidet Schröder kurzerhand die monatelang und vielstimmig geführte Debatte um ein neu zu schaffendes Ministerium für Kultur, dessen Kompetenzen und Bedeutung in einem sich verändernden Europa. Schröders Debattenbeitrag ist einfach: So machen wir's. Bedenken sind an der Garderobe abzugeben.
Der designierte Staatsminister für Kultur, Michael Naumann, wollte bei soviel Drive offenbar nicht nachstehen und salutierte mit Meinungsfreude. Das Berliner Mahnmal für die ermordeten Juden Europas lehne er ab. Noch eine forsche Entscheidung also? Nicht ganz. Denn nach Stand der Dinge gehörte auch ein neuer Staatsminister für Kultur nicht zu den Entscheidern der Mahnmalsfrage. Die liegt immer noch beim Kanzler, dem Berliner Senat und der Initiative um Lea Rosh. Alles andere sind Stimmen und Stimmungen, auch wenn sie bisweilen von hohen Posten aus gesprochen werden.
Mit Michael Naumann schickt Schröder, das zeigen die ersten Äußerungen, keinen pragmatischen Regler auf die politische Bühne. Hier erhebt einer mit einem kulturpolitischem Profil Anspruch auf Redezeit. Die Tugenden der 68er streben zurück in die Politik. Die Kluft zwischen Geist, Kultur und Politik sei nie so tief gewesen wie unter Kohl, sagt Naumann. Der künftige Staatsminister, darf man ergänzen, will sich am Brückenbau versuchen.
Kohls Programm der geistig-moralischen Wende von 1982 wird also endgültig entsorgt. So weit, so gut. Des Dicken Kulturkonservativimus taugt nicht länger zur Gegnerschaft. Weiteres Nachtreten überflüssig. Was an Schröders geschickter Besetzungspolitik irritiert, ist die Tatsache, daß das Zusammengehen zwischen Geist und Macht noch einmal mit dem Personal aus Willy Brandts Zeiten versucht wird. Es könnte aber sein, daß die Felder von Geist und Macht noch ganz anders bestellt werden müssen. Harry Nutt
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