■ Kommentar: Falsches Image
Die Aufforderung, auf diese Stadt zu schauen, ist nicht mehr nötig. Inzwischen blicken ohnehin alle auf Berlin. Die Umwandlung der Mauerstadt zur modernen Metropole interessiert in ganz Deutschland, wenn nicht weltweit. Daher strömen auch die Touristen wieder in die Stadt: Nie kamen seit der Wende so viele wie in diesem Mai. Sehr zum Gefallen der Berliner Politik. Sie fördert das Image der dynamischen Boomtown nach Kräften. Kein erster Spatenstich für einen großen Neubau, bei dem der Regierende Bürgermeister nicht dabei ist.
Daß hier aber nicht nur der Bau boomt, sondern auch die Arbeitslosigkeit, die Zahl der Sozialhilfeempfänger und der leerstehenden Büros, wird außerhalb Berlins kaum wahrgenommen. Wenn Kaufhäuser schließen, ist das in anderen Städten kein Thema. Dort wird Berlin mittlerweile betrachtet wie London oder Paris: Endlich wieder eine richtige Hauptstadt, die sich elegant präsentiert. Dieses Image lockt die Investoren in die Stadt. Immer neue Bauprojekte werden gestartet. Stets mit ähnlichen Konzepten: in den oberen Stockwerken viele Büros und ein paar Wohnungen, im Erdgeschoß kleine Läden und Cafés. Daß die Gebäude schließlich oft leer stehen, hält sie davon nicht ab. Ihre Verluste können sie abschreiben. Den Menschen außerhalb Berlins kann man nicht vorwerfen, diese Schattenseite nicht wahrzunehmen. Aber die Berliner leiden darunter, daß an ihrem Bedarf vorbei gebaut wird. Der Senat müßte dieser Entwicklung entgegensteuern. Doch der Wunsch nach immer neuen Investoren scheint dem entgegenzustehen. Damit fördert der Senat ein Image, das dem Leben in der Stadt nicht entspricht. Jutta Wagemann Meldung Seite 18
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