■ Kommentar: Abschied vom Windkanal
Die Leipziger Straße zählt zu den häßlichsten Ost-West-Kanälen der Stadt. Durch die sechsspurige Straße rast der Verkehr. Laut ist es bis spät in die Nacht, nicht weil dort die Großstadt brummt, sondern en masse Autos dröhnen. Kaum besser kommen die Gehwege und Grünflächen daher, bilden sie doch nur Verlängerungen der Straße. Und wer die Hochhäuser zu Architektur stilisiert, weiß nicht, was guter Städtebau bedeutet.
Es hat lange genug gedauert, bis selbst Bausenator Jürgen Klemann die Malaise vor Ort erkannt hat, denn mit Verve machte sich Klemann in der Vergangenheit stark, die ost-westliche Autobahn dem Verkehr zu reservieren. Nun schwenkt der Senator um und plädiert für einen Rückbau der Straße. Was man Klemann zugute halten muß, ist, dabei nicht der Versuchung zu erliegen, auch einer zusätzlichen Bebauung vor den Hochhäusern das Wort zu reden. Ein Städtebau der Verniedlichung – nämlich kleine Häuschen vor die weißen Zeilen – verwandelte die Leipziger Straße zur Groteske.
Deshalb stellt der Plan, die Straße zu verengen und die freien Flächen mit Grün zu gestalten, ein praktikables Konzept dar. Mit einem guten Entwurf besteht für den Stadtraum die Chance, endlich zu einer nutzbaren Meile werden zu können. Es gibt ausreichend Beispiele großer Magistralen, die zugleich Straße und Aufenthaltsort bilden, ohne daß man gleich einen großen Bogen um sie macht. Die Beispiele liegen in Lissabon, Barcelona, Paris oder in Mailand. Darüber hinaus weist die Idee, die auch vom Bezirk Mitte favorisiert wird, noch in andere Richtungen. Sie läßt die Möglichkeit offen, sich der Hochhausbebauung und dem Straßenland noch mit anderen städtebaulichen Vorstellungen als mit Bürobau pur, Kolonnadenverschnitten oder historischen Anlehnungen zu nähern. Rolf Lautenschläger
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