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KommentarOstdeutsche, wählt SPD!

■ Die Sozialdemokraten im Osten machen sich selbst Mut

Das hat Charme: Die SPD fordert dazu auf, SPD zu wählen. Von wegen Wechsel, Aufschwung, innere Einheit und so. Solche Überraschungen sind im Wahlkampf heutzutage offensichtlich nicht zu vermeiden. Bemerkenswert an dem gestrigen Aufruf des „Forum Ostdeutschland“ der SPD ist allein der letzte Satz: „Auf den Osten kommt es an.“ Bemerkenswert deswegen, weil er aus dem Mund ostdeutscher Sozialdemokraten kommt.

Daraus spricht das gewachsene Selbstbewußtsein der Ost-SPD. Seit 1990 hatte sie in Ostdeutschland damit zu tun, zwischen CDU und PDS nicht erdrückt zu werden. Heute liegt sie in den Umfragen mit 43 Prozent klar vor CDU (28 Prozent) und PDS (19 Prozent). Das jahrelang gespannte Verhältnis zwischen Osten und Sozialdemokratie – die Ostdeutschen warfen der SPD vor, 1990 die Einheit nicht wirklich gewollt zu haben, die Sozialdemokraten wiederum verziehen den Ostdeutschen lange Zeit nicht, Kohl gewählt zu haben – entspannt sich. Ein Wahlsieg der SPD in Bonn könnte so etwas wie eine späte Versöhnung mit dem Osten werden.

Erst 1996 hatte die SPD unter dem Druck der PDS die Sorgen der Ostdeutschen wiederentdeckt und ihr „Forum Ostdeutschland“ gegründet. Dem Osten sollte eine zweite Chance gegeben werden – und zwei Jahre später kommt es bei der Wahl schon auf ihn an. Die SPD hat gelernt, daß der Osten mehr ist als ein Krisengebiet. Dort wird inzwischen manches anders gemacht als im Westen. Das macht Ostdeutschland auch zu einem Zentrum von Veränderungen.

Die SPD sollte vor lauter Selbstvertrauen nicht vergessen, warum sie im Osten die Wahlen gewinnt: weil Kohl sie dort verliert. Mit Ruhm bekleckert haben sich die Sozialdemokraten auch nicht gerade. Sie leben vor allem von den Enttäuschungen der Ostdeutschen über den Kanzler der Einheit und von ihrem besseren politischen Personal. Außerdem haben sie ihren Pragmatismus in bezug auf die PDS so weit getrieben, daß es in Schwerin demnächst wohl die erste SPD/ PDS-Regierung geben wird. Nur warum die SPD im Osten mit der PDS zusammen regieren will, erklärt sie keinem.

In dem gestrigen Aufruf der SPD wird die PDS nicht einmal erwähnt. Man darf annehmen, die Genossen wissen, daß da nach der Bundestagswahl noch einiges auf sie zukommen wird. Jens König

Bericht Seite 6

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