Kommentar: Sieg der Bürokraten
■ Die Beamten erobern das Haus der Demokratie
Daß ausgerechnet der Beamtenbund den letzten Relikten der DDR-Bürgerbewegung die Kündigung ins Haus der Demokratie schickte – das hat schon einigen Symbolwert. Schließlich hatten sich die Ostdeutschen 1989 gerade eines autoritär-bürokratischen Obrigkeitsstaats entledigt, der die schlechtesten Traditionen preußischen Beamtentums zu neuen Blüten trieb und seine bürokratische Basis mit dem marxistischen Überbau nur mühsam camouflierte. In Mielkes Ministerium für Staatssicherheit erreichte die manische Vorliebe für Karteikarten und Aktendeckel ihren historischen Höhepunkt.
Doch zu ihrer großen Überraschung sahen sich die Bürgerrechtler unter anderen Vorzeichen alsbald wieder einer Armee gegenüber, die mit Leitz-Ordnern und Ärmelschonern bewaffnet war. Teils machtbewußt, teils notgedrungen stieß die westdeutsche Verwaltungsmaschinerie in jene Legitimitätslücke vor, die sich in Ostdeutschland zwischen dem Fehlen von gewachsenen demokratischen Strukturen einerseits und dem riesigen Bedarf nach schnellen Entscheidungen andererseits auftat. Auch wenn heillos überforderte Politiker aus dem Osten die formalen Beschlüsse fällten – letztlich entschieden Beamte aus dem Westen über Aufbau oder Abriß, über Abwicklung oder Ausverkauf einer ganzen Volkswirtschaft.
Die Bürgerrechtler zogen sich in immer kleinere Nischen zurück, eine der letzten war das Haus der Demokratie. Wenn sie sich in der Öffentlichkeit zu Wort meldeten, ging es fast nur noch um die Vergangenheit, um den Umgang mit DDR-Relikten wie die Stasi-Akten oder die PDS. Doch Geschichte heißt Veränderung. Moralismus und Vergangenheitsbesessenheit vieler Bürgerrechtler ödeten das Publikum zuletzt nur noch an. Zum Teil haben sie sich das selbst zuzuschreiben.
Das gibt dem Beamtenbund aber noch lange nicht das Recht, ausgerechnet jenen Überbleibseln der Bürgerbewegung, die bis heute in der Mitte Berlins ausgeharrt und sich an neuen Projekten versucht haben, per fristloser Kündigung den Gnadenschuß zu verabreichen und ihnen den letzten jener öffentlichen Räume zu entziehen, die sie sich im Wendejahr erkämpft hatten. Man muß dem Beamtenbund ja nicht gleich mit Moral kommen. Aber einmal darüber nachzudenken, wem sie ihre Macht eigentlich verdanken – das könnte auch den Funktionären der Bürokratenlobby nicht schaden.
Ralph Bollmann Bericht Seite 22
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