Kommentar: Liberalisierung als Jobkiller
■ Der Bewag setzt der Wettbewerb zu
Der freie Markt kostet Arbeitsplätze. Das hört man nicht gern in den Hierarchien der Europäischen Union, im Bonner Wirtschaftsministerium und den Lobbyverbänden der deutschen Industrie. Das Beispiel des Energieversorgers Bewag freilich belegt, daß es so ist. Das Unternehmen will seine Belegschaft massiv reduzieren und begründet dies mit dem zunehmenden Wettbewerb und Preiskampf.
Es handelt sich nicht um ein vorgeschobenes Argument des Energieversorgers. Tatsächlich straft die Entwicklung alle diejenigen Lügen, die davon schwärmen, daß Liberalisierung und Wettbewerb mehr Arbeitsplätze und Wohlstand schüfen.
Das Gegenteil ist der Fall. Weil bald jeder Hersteller seinen Strom überall verkaufen kann, beginnt man sich gegenseitig zu unterbieten. So purzeln die Preise. „Der Kostendruck ist brutal“, weiß Fachmann Hans-Joachim Ziesing vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Nicht nur bei der Bewag, dem beherrschenden Betrieb der Berliner Energiebranche, wird das Tausende Jobs kosten. Diese Größenordnung liegt weit über dem, was neue Unternehmen – etwa solche, die mit Strom handeln – an zusätzlichen Arbeitsplätzen schaffen würden. Unter dem Strich steht ein Minuszeichen: Die Arbeitslosigkeit steigt.
Einstweilen jedenfalls. Was später ist, weiß man nicht. Wird Berlin irgendwann profitieren, wird die deutsche Wirtschaft mehr Stellen einrichten? Belastbare Untersuchungen über Arbeitsplatzgewinne durch die Energieliberalisierung gibt es nicht. Man kann hoffen, und die Freunde des Marktes in Verbänden und Ministerien tun alles, um diese Hoffnung zu nähren.
Eigentlich jedoch geht es um etwas anderes. Die niedrigen Strom- und Wärmepreise, die der Wettbewerb hervorbringt, dienen den großen Industrie- und Dienstleistungsunternehmen. Diese sparen Geld, investieren mehr und geben den Menschen damit mehr Beschäftigung. Das jedenfalls sagt die Theorie. Man wird sehen, ob die Wirklichkeit den Lehrbüchern einen Gefallen tut. Zunächst jedenfalls ist die Wirtschaftsregion Berlin-Brandenburg ärmer dran als zuvor. Hannes Koch
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