Kommentar: Eine aufgeblähte Klamotte
■ Die Clinton-Affäre schürt die Politikverdrossenheit in den USA
Reporter und Rettungsmannschaften strömen in ein kleines Bergbaustädtchen. Ein Grubenunglück hatte etliche Bergleute verschüttet. Gewagte Bohrarbeiten sollen einen rettenden Stollen vorantreiben. In Erwartung eines dramatischen Wettlaufs mit dem Tod schlägt die Presse ihre Zelte auf. Da entdeckt jemand einen stillgelegten Stollen, über den die Verschütteten gefahrlos geborgen werden könnten. Die Klappe soll er halten, wird ihm befohlen. Denn Medien und Ingenieurfirma haben einen schmutzigen Deal abgemacht. Ein tagelanges Rettungsdrama unter Einsatz kühner Technik ist für beide eine Goldmine. Die Journaille hat ihre Sensation, das Rettungsunternehmen seinen Auftrag – die Bergleute halten das schon durch.
Die Geschichte des Films „Großer Karneval“ von Billy Wilder ist ein Gleichnis auf die Lewinsky-Affäre. Das Impeachment-Drama ließe sich schnell beenden, aber aus dessen quälender Verlängerung schlagen beide Parteien und die Medien Kapital. Die Republikaner schreien nach Spielverlängerung in der Hoffnung, irgendwann werde sich die Gunst des Publikums schon wenden. Ausgeschlossen ist das nicht. Auffallend häufig haben in den letzten Tagen Kommentatoren die Fragwürdigkeit des Arguments gegeißelt, wirtschaftlich gehe es dem Land prima, also soll man Clinton endlich in Ruhe lassen. Denn lassen sich die Maßstäbe für die Moral der Herrschenden dem Volk durch materiellen Wohlstand abkaufen? Trotzdem sinkt der Stern der Republikaner jeden Tag tiefer, weil sie als jene dastehen, die das langweilig gewordene Spiel um jeden Preis ausdehnen wollen. Die Demokraten haben keinen Anlaß, den Republikanern aus dieser Klemme zu helfen. Auch Lewinskys Auftritt kann den Republikanern mehr schaden als Clinton.
Im Bergwerk eingeschlossen ist derweil das US-Volk, auf dessen Kosten das alles geht. Denn die Regierungsarbeit liegt brach. Amerika wendet sich von Washington ab; und je lauter von der Heiligkeit der Verfassung geredet wird, desto hohler klingt das Gedröhn. Je länger eine Verfassung beschworen wird, die eine derartige Komödie ermöglicht, desto verzopfter erscheint sie. Die demokratischen Institutionen verkommen in dieser zum Staatsdrama aufgeblähten Klamotte zu pompösen Kulissen, vor denen antiquierte, bedeutungslose Zeremonien zelebriert werden. Peter Tautfest Bericht Seite 11
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen