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KommentarKalte Rechnung

■ 100 Tage Debis-City: Erfolg der Investoren

Nach 100 Tagen Debis-City samt Potsdamer-Platz-Arkaden wird einmal mehr deutlich, wohin die Reise des neuen Berlin gehen soll. Nämlich in Richtung Kommerzialisierung und Festivalisierung der Stadt. Man kann getrost die Reden der Politiker und Investoren vergessen, die noch zu Zeiten der Planung von Lebendigkeit und Mischung für das Stadtquartier schwärmten. Das Mirakel von der Urbanität machte damals die Runde. Geglaubt hatten es vielleicht die Seligen. Und die sind bekanntlich arm im Geiste. Heute, 100 Tage nach der Eröffnung der Debis-City, ist selbst davon keine Rede mehr. Die Investoren und Centermanager zeigen dem Thema lächelnd die kalte Schulter.

Gemessen wird der Erfolg der Einkaufsmeile und der diese umgebenden Kneipen, Läden, Kinos und sogar Wohnungen schlichtweg am Umsatz und den Begehrlichkeiten der Verkäufer. Daß sie auf gute Zahlen verweisen, ist offensichtlich. Es zeigt, daß das Vermarktungskonzept und der Fetisch Ware funktionieren. Die Touristen drücken sich an den Scheiben am Potsdamer Platz die Nasen platt. Und selbst die Berliner kommen um den Marlene-Dietrich-Platz nicht herum. Im Cinemaxx-Kino spielt jetzt die Musik. In den Arkaden läßt sich shoppen. 120 Läden und Imbisse sind schon was.

Aber mehr ist nicht. Es ist ein offenes Geheimnis, daß die Welt des Kommerzes, gehüllt in spektakuläre Fassaden, und der Freizeitpark mit „Multiplex“, Musical und Spielbank zwar ein Phänomen darstellen, das man gesehen haben muß. Doch man vergißt es ebenso schnell, wenn es sich nur so aufführt. Die Friedrichstraße gibt dafür ein Beispiel. Der Potsdamer Platz hat keine Chance gegen die Hackeschen Höfe, gegen Prenzlauer Berg, Kreuzberg und andere Kieze. Und selbst der Kurfürstendamm samt Nebenstraßen ist eine Wohltat, verglichen mit den toten Ecken am Platz. Was fehlt – und nie geplant war –, ist das, was man Behaglichkeit nennt. Einkaufen kennt dieses Gefühl nicht, schon gar nicht in einer Mall, deren Charakter austauschbar ist. Und wer nach dem Kino auf zugigen Straßen in leere Kneipen guckt, sucht das Weite. Um zu bleiben, müßte die Debis-City anderes bieten. Aber genau das war nie vorgesehen. Rolf Lautenschläger

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