Kommentar: Ein Lichtblick im Pulverdampf
■ Urteil gegen US-Hersteller von Handfeuerwaffen
Ein Bundesgericht in Brooklyn hat erstmals amerikanische Firmen wegen Fahrlässigkeit beim Verkauf von Handfeuerwaffen verurteilt und damit die Axt an einen amerikanischen Mythos gelegt. „Das Recht der Bürger, Waffen zu besitzen und zu tragen, wird nicht eingeschränkt“, so steht es in der amerikanischen Verfassung. Und das wird tausendfach von jenen zitiert, die jeden Versuch, Amerikas Waffennarretei einzudämmen, verhindern wollen. Verschwiegen wird dabei immer, daß dieser Satz am Ende eines Artikels steht, der vom Recht der Staaten spricht, sich Milizen zu schaffen.
Der Verfassungszusatz sollte den USA eine dem Schweizer System vergleichbare Militärverfassung geben. Heute ist er längst durch die Existenz von Nationalgarden und US-Armee überholt, lebt aber als Mythos vom bewaffneten Bürger fort. Jeder Versuch, Herstellung, Kauf, Besitz und Aufbewahrung von Schußwaffen Auflagen zu unterwerfen, stößt auf zähen Widerstand der Lobby aus Waffennarren, konservativen Ideologen und der mächtigen Waffenindustrie.
In Amerika sind Spielzeugpistolen strengeren Bestimmungen unterworfen als richtige Waffen. 1996 kamen 14.327 Menschen durch Schußverletzungen ums Leben, 42 Prozent durch Morde, 58 durch Jagd- und Sportverletzungen, Selbstmorde oder Unfälle. Die Morde konzentrieren sich in bestimmten Städten, wo der Waffenbesitz verheerende Folgen zeitigt.
Nur zwei Straßen von meinem Haus in Washington entfernt gibt es einen offenen Drogenmarkt, den die Polizei nicht auszuheben wagt, weil sie weiß, daß die Dealer ihr an Feuerkraft überlegen sind. Die Städte, denen es gelang, eigene Beschränkungen des Schußwaffenbesitzes durchzusetzen, versuchen seit langem, den Zufluß von Waffen zu stoppen. So erließ der Bundesstaat Virginia 1993 ein zunächst grotesk anmutendes Gesetz, das den Kauf von mehr als einer Waffe im Monat untersagte. Sinn war es, Waffenaufkäufe durch Strohmänner zu verhindern.
Städte, Gemeinden und Bürger greifen jetzt zum Mittel der Klage gegen die Waffenindustrie, weil die Politik sich als weitgehend unfähig erwiesen hat, eine nationale Seuche einzudämmen. Da ist das Urteil von Brooklyn ein erster Lichtblick. Nach dem Muster der Klagen gegen die Tabakindustrie wird es vielleicht zustande bringen, wozu die Politik unfähig ist.
Peter Tautfest Bericht Seite 10
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen