Kommentar: Regierungskrank
■ Ohne Plenargebäude kein Luftfahrtminister Lafontaine
Reichstag? Bundestag? Schicksalstag! Heute berät der Ältestenrat des deutschen Parlaments über den Namen seiner künftigen Heimstatt. Unbestritten ist, daß das Hohe Haus als Souverän an die Stelle von Königen und Kaisern getreten ist. Kein Wunder also, daß sich die mittelalterliche Vorstellung von den zwei Körpern des Königs umstandslos auf die Namensfrage übertragen läßt: Das Parlament als Institution ist ewig und unsterblich, seine gläserne oder steinerne Hülle hingegen wechselt mit den Zeitläuften, sie kann abgerissen werden wie der alte Bonner Plenarsaal oder ausbrennen wie das Berliner Reichstagsgebäude im Jahr 1933. Zwei grundverschiedene Phänomene also, folglich bedarf es zweier Namen.
An der Bezeichnung der Institution läßt sich nichts drehen: „Bundestag“, so steht es im Grundgesetz. Für das Gebäude also ist der Name verbrannt, da sind sich alle einig. „Reichstagsgebäude“, schlägt daher die CDU vor. Ein „Plenargebäude“ wünscht sich hingegen die SPD-Fraktion. Sie folgt damit dem Parlamentspräsidenten, der das Wort „Reich“ partout nicht goutieren mag.
Was aber geschieht, wenn sich die SPD nicht durchsetzt? Dann könnte Wolfgang Thierse immer noch auf Gleichbehandlung drängen. Muß er im „Reichstagsgebäude“ oder, schlimmer noch, im „Reichstag“ amtieren, dann darf er Gleiches auch von den Genossen im Ministerrang verlangen. Seinen Parteifreund Oskar Lafontaine wird er dann als „Reichsluftfahrtminister“ anreden, weil das Finanzressort Görings einstigen Amtssitz übernimmt. Außenminister Joschka Fischer darf als „Reichsbankpräsident“ viel kompetenter als bisher übers Nazigold parlieren, wenn er sich erst der Zimmerfluchten eines Hjalmar Schacht bemächtigt hat. Wirtschaftsminister Werner Müller meldet sich ob seines geringen Bekanntheitsgrades gleich „regierungskrank“, schließlich siechten zu DDR-Zeiten senile Führungskader im Gebäude des Regierungskrankenhauses dahin. Und den Kanzler hinter Liebknechts Schloßportal darf Thierse dann als „Staatsratsvorsitzenden“ titulieren – seiner zur Schau gestellten PDS- Aversion zum Trotz.
In Bonn wäre das nicht passiert. Ralph Bollmann
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