Kommentar: Diplomatie und Wahrheit
■ Nach den Schüssen ist Berlin eine andere Stadt
Zweieinhalb Wochen sind mittlerweile vergangen, seitdem vier Kurden bei der zumeist „Erstürmung“ genannten Aktion im und am israelischen Generalkonsulat getötet wurden. Zweieinhalb lange Wochen, in denen es die Justiz noch immer nicht geschafft hat, endgültig die Umstände der tödlichen Schüsse zu klären. Zweieinhalb Wochen, in denen kaum einer die Frage zu stellen wagte, ob es von nun an in Berlin erlaubt ist, ungestraft durch die Gegend zu ballern. „Die Wahrheit kennt keine Diplomatie“, sagte gestern Generalstaatsanwalt Karge. Doch kennt die Diplomatie die Wahrheit? Gewiß, nun fordern die Grünen einen Untersuchungsausschuß. Aber was soll dabei herauskommen? Gegen die beiden Todesschützen kann – der Diplomatie wegen – nicht mehr ermittelt werden. Also werden sich vermutlich auch nach einem solchen Ausschuß noch immer zwei Versionen gegenüberstehen. Die der Israelis und die der Polizei. Wessen Version man schließlich folgt, ist dann wohl Glaubenssache oder aber Ergebnis der Frage, wer eigentlich einen Grund zum Lügen hätte: die eine Seite oder die andere.
Nein, einen solchen Untersuchungsausschuß braucht man nicht. Zu klären wären andere Fragen – diplomatische. Warum zum Beispiel schloß sich das Auswärtige Amt einer Notwehrversion an, als diese von den Israelis selbst noch kaum formuliert war? Warum müssen Kripobeamte zweieinhalb Stunden vor der Tür stehen, bevor sie eingelassen werden? Und warum wird gegen die beteiligten Kurden wegen diverser Delikte ermittelt, gegen die israelischen Beamten aber nicht? Gewiß, die Diplomatie. Aber es macht schon einen Unterschied, ob man ermittelt und die Ermittlungen schließlich einstellen muß oder ob man die unangenehmen Dinge gleich unter den Teppich kehrt.
Und dann wäre noch etwas, was wahrscheinlich in keinem Untersuchungsausschuß zur Sprache käme, eigentlich aber ein Thema für die Öffentlichkeit wäre. Noch nie sind in der Bundesrepublik bei einer Demonstration vier Menschen getötet worden. Warum sagt keiner, daß seit dem Aschermittwoch in Berlin nichts mehr ist, wie es war. Wieviel Wahrheit verträgt Diplomatie? Und wieviel ein Untersuchungsausschuß? Uwe Rada
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