Kommentar: Gezähmte Prinzipienreiter
■ Zum neuen Entwurf der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts
Prinzipien sind gut fürs Gemüt. Weiter kommt man mit Politik. Dies lernen die Grünen einmal mehr mit der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts. Vor ein paar Wochen stolzierten sie wie eitle Gockel durchs Land. Sie hatten eine Duftmarke gesetzt. „Unter genereller Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft“, diktierten sie Bundesinnenminister Otto Schily in den Gesetzentwurf. Das weitere Geschehen ist bekannt: Weder die Union noch die FDP und Teile der SPD wollten sich fügen. Und schon gar nicht das überrumpelte Wahlvolk. Das teilte in Hessen mit, was es von Prinzipienreiterei hält: nichts.
Nun also ein zweiter Reformanlauf. Diesmal nicht mehr unter Meinungsführerschaft der Grünen. Die Botschaft lautet folglich: Ja zur erleichterten Einbürgerung. Aber grundsätzlich nur, wenn Erwachsene ihre alte Staatsbürgerschaft aufgeben. Das klingt nach Mehrheitswillen. Der Entwurf dürfte deshalb die besten Chancen haben, mit Hilfe der FDP auch den Bundesrat zu passieren. Näheres zum Doppelpaß regelt ein Ausnahmekatalog. Und der ist so umfangreich, daß es für die Betroffenen zu keinen unannehmbaren Härten kommt.
Den grünen Prinzipienreitern sind Zügel angelegt. Und damit besteht die Aussicht, daß sich Deutschland in diesem Jahrhundert doch noch vom Abstammungsprinzip löst und ein modernes Staatsbürgerschaftsrecht erhält.
Etwas mehr Protest wünschte man sich allerdings bei den wirklichen Kröten des Entwurfs. So hat einen Einbürgerungsanspruch nur der, der „nachhaltig“ für seinen Lebensunterhalt und den seiner Familie aufkommen kann. Wer, bitte schön, kann dies in Zeiten der „Flexibilisierung des Arbeitsmarktes“? Und ist jemand, der im Laufe seines Lebens wegen Gesetzesübertretungen zu mehr als 90 Tagessätzen verurteilt wurde, wirklich nicht mehr als ehrenwertes Mitglied dieser Republik vorstellbar?
Skandalös ist nicht die Verweigerung der generellen Hinnahme des Doppelpasses, sondern die gesetzliche Möglichkeit, Menschen von der Bürgerschaft auszuschließen, weil sie Opfer des kapitalistischen Systems werden können. Als Sozialhilfeempfänger oder als Delinquent. Zugegeben: Dies sind Zusammenhänge, die die neue Mitte weit weniger interessieren als der aktuelle Dax-Index.
Eberhard Seidel-Pielen
Bericht Seite 6
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen