Kommentar: Diepgen hat sich verrannt
■ Regierender Bürgermeister fürchtet Flüchtlingsstrom
Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen ist ein guter Läufer. Ob privat am Schlachtensee oder zum Warmwerden für den Wahlkampf – der Mann ist fit. Doch seine Äußerungen zur Kosovo-Krise zeugen nicht von sportlichem Teamgeist.
Während am Wochenende Tausende gegen die Nato-Angriffe demonstrierten, warnte er gegenüber einem Fernsehsender vor einer „einseitigen humanitären und finanziellen Lastenverteilung“. Mit einer Flüchtlingswelle vor seinem geistigen Auge sagte Diepgen: „Berlin kann das nicht alles tragen.“ Er appellierte an die Staaten der Europäischen Union sowie an die Regierungschefs der Bundesländer, sich solidarisch zu zeigen. Dies sei nicht nur eine finanzielle Frage, sondern auch eine Verantwortung unter sozialen Aspekten.
Statt sich als verantwortungsvoller Politiker der von Mord und Vertreibung geprägten Realität in Jugoslawien zu stellen, betreibt Diepgen populistische Panikmache und beschwört Bilder von Tausenden hilfesuchenden Flüchtlingen herauf, die demnächst mit ausgestreckter Hand und ohne Dach über dem Kopf vor den Stadttoren stehen. Daß der Kosovo selbst für trainierte Marathonläufer zu weit weg von Berlin liegt und nur wenige Flüchtlinge Geld für teure Schlepper haben, scheint er nicht zu wissen. Man kann zum Nato-Einsatz stehen, wie man will. Doch Menschen in dieser Lage Hilfe zu verweigern, ist erbärmlich.
Ungeachtet dessen, daß sich im Kosovo ein Drama unter der Zivilbevölkerung abspielt, absolviert Diepgen seine sportlichen Aktivitäten, als wäre nichts passiert. Zugunsten von Unicef lief er am Samstag mit der Spendenbüchse durch die Stadt und appellierte an die Berliner, „ihr Herz für Kinder zu öffnen“ und für das Kinderhilfswerk zu spenden. Auch beim gestrigen Berliner Halbmarathon stieg er für Unicef in die Turnschuhe. Dabei ging es um von Prostitution bedrohte Kinder in Brasilien, Minenopfer in Kambodscha und obdachlose Kinder in der Ukraine. Alles unterstützenswerte Projekte, ohne Frage. Doch mancher Läufer sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht. Diepgen sollte einfach weniger laufen und mehr auf die Zielgerade achten. B. Bollwahn de Paez Casanova
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