Kommentar: Hannah Arendt!
■ Keine staatstragende Tradition alter Männer
Vielleicht würde sich ja Hannah Arendt selbst nicht nur geehrt fühlen als Namenspatronin des Platzes am Reichstag. Zu wechselvoll seine Geschichte, zuviel an politischem Mißbrauch im Namen des Volkes. Eine Reflektion der Beziehung zwischen dem Gemäuer des Reichstages und der politischen Grundwerte der Philosophin jedoch wäre statt formaler Argumente eine erfreuliche Annäherung an die Frage nach der Benennung des Platzes gewesen.
Nur als Zugeständnis an die „neumodische“ Strömung namens Demokratie etwa ließ Wilhelm II. die Widmung „Dem Deutschen Volke“ anbringen. Nur kurz währte dann die Zeit der Demokratie, nachdem vom Reichstag aus Scheidemann die Republik ausgerufen hatte. Und obwohl Symbol demokratischer Tradition geworden, gehört zur Geschichte des Reichstags auch der politisch genutzte Brand des Gemäuers und das Ende jeglicher demokratischer Kultur für „1.000 Jahre“.
Schon früh – und wesentlich differenzierter als die nach ihr entstandene Totalitarismustheorie – hat sich Hannah Arendt mit den Strukturen totalitärer Herrschaft auseinandergesetzt. Strukturen, die systemübergreifend auch die Erosion demokratischer Verhältnisse beschreiben. Nicht als Bestätigung deshalb, sondern als Kontrapunkt zur wechselvollen deutschen Geschichte – wer könnte ihn an dieser Stelle besser verkörpern als Hannah Arendt? Keine Antifaschistin realsozialistischer Prägung an der früheren Staatsgrenze. Kein Demokrat ungebrochener westdeutscher Nachkriegstradition. Und auch nicht Friedrich Ebert.
Wenn die Bundesrepublik in den vergangenen Jahrzehnten eine positive Entwicklung genommen hatte, so bestimmt nicht dank staatstragender Traditionen alter Männer. Demokratisierung der Gesellschaft nach 68 verdankt sie den Brüchen mit etatistischer Tradition. Verdankt die Gesellschaft auch dem Aufbruch intelligenter Frauen aus der Ummauerung der Männerherrschaft unter anderem in der Wissenschaft. Formale Argumente sind an dieser Stelle zugleich Argumente gegen eine solche spezifische Würdigung. Wir jedoch brauchen nicht noch mehr Staatsmänner im Herzen der Hauptstadt. Barbara Junge
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