Kommentar: Ein bißchen Verlust ist immer?
■ Wider die Kriegslogik - auch serbische Zivilisten sind Opfer
Die Kriegslogik hat das linksliberale Spektrum erreicht. 1.000 zivile Opfer auf der serbischen Seite seien ein Beleg für das behutsame Nato-Vorgehen, ist dieser Tage zu hören. Einen menschenrechtlich korrekten Öko-Siegel-Krieg gebe es nun mal nicht. Oho! Wir lernen aus den pädagogisch wertvollen Hinweisen: Ein bißchen Verlust ist immer. Diesen schlichten Fakt mögen doch bitte schön auch die kriegsuntauglichen, mit Militärstrategien nicht vertrauten Zweifler schlucken.
Und wenn nicht? Steckt da vielleicht der Gedanke dahinter, daß angesichts der kosovarischen Opfer es die Serben verdient haben, auch ein wenig zu bluten? Kollektivstrafe muß sein, schließlich haben sie Slobodan Milošević gewählt?
Natürlich möchte man den Worten der Nato glauben, daß sie einen Krieg gegen Milošević und nicht gegen die Serben führt. Nur, wenn man sich die Taten, also die Bombardierungen, ansieht, fällt das schwer. Es ist nicht einzusehen, daß eine Chemiefabrik bombardiert wird, was die Umwelt wahrscheinlich auf lange Sicht verseucht, Fehlgeburten, Behinderungen und gesundheitlich geschädigte Kinder zur Folge hat. Es ist schwer begreiflich, daß ein Rundfunkhaus mitten in der dichtbesiedelten Belgrader Innenstadt attackiert wird – ein Angriff, der sehr leicht hätte danebengehen können. Und es trifft auch nur am Rande Milošević und seine Helfershelfer, wenn man die Strom- und Wasserversorgung lahmlegt. Denn während die Militärs mit Sicherheit ihre Mittel, Wege und Notaggregate haben, sind viele zivile Einrichtungen aufgeschmissen.
Zu den zweifelhaften Angriffszielen der Nato kommen die Irrläufer, die nun fast täglich Wohngebiete, Busse, Züge treffen. Auch das darf man natürlich nicht kritisieren, weil es ja nur Versehen waren oder technische Mißgeschicke, die die Nato unheimlich bedauert. Doch wie oft sollen wir solche statistisch zu vernachlässigenden Fehler noch entschuldigen?
Wenn man nicht nur an die Kriegslogik, sondern auch an die Zeit danach denkt, wird deutlich, daß mit jedem zivilen Opfer die Annäherung an den Frieden für die serbische Bevölkerung schwieriger wird. Die einzige Perspektive, nämlich Serbien europäisch zu integrieren, rückt mit dieser Definition militärischer Ziele durch die Nato, die jede Fabrik, jede Straße einschließt, aber nicht in zivilen Folgen zur Kenntnis nimmt, in immer größere Ferne. Silke Mertins
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