Kommentar: Ziviler Ungehorsam
■ Desertion und Demonstration – in Serbien regt sich Widerstand gegen den Krieg
Gerade hatten wir uns an das Bild des häßlichen, weil nationalistischen Serben gewöhnt, da protestieren Soldatenmütter gegen den Krieg im Kosovo, der in ihrem Namen geführt wird. In Krusevac, kaum eine Autostunde von Belgrad entfernt, forderten 3.000 Frauen ihre Söhne zurück. In Aleksandrova griffen Demonstranten das Büro von Miloevic' Sozialistischer Partei an. Hunderte desertieren aus der Armee. Nach Aussagen von Zoran Djindjic, dem Vorsitzenden der oppositionellen Demokratischen Partei, ist in Krusevac deshalb der Ausnahmezustand verhängt worden, Militärpolizei riegele das Gebiet weiträumig ab.
Wieder einmal zeigt sich: „Die Serben“ sind eine Erfindung westlicher Propaganda. Miloevic hat seine Macht nie auf die Mehrheit der Bevölkerung stützen können. Es waren die Bürger Belgrads, gegen die der Serbenzar 1991, vor Beginn des jugoslawischen Krieges, erstmalig Panzer rollen ließ. Damals hatten sich Zehntausende versammelt, um ihre Wut gegen die katastrophale Politik des damaligen serbischen Präsidenten kundzutun.
Der Widerstand war damit nicht gebrochen. Unabhängige Untersuchungen belegen, daß der restjugoslawische Staat während der Kriege in Slowenien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina nie mehr als 30 Prozent der Rekruten mobilisieren konnte. Zehntausende junge Bürger Serbiens flohen lieber ins Ausland, als für Miloevic zu töten. Und in den ersten zwei Jahren des bosnischen Krieges verließ mehr als die Hälfte der serbischen Bevölkerung die bosnische Serbenrepublik Srpska, Tausende versteckten sich, um nicht in der Armee der Republika Srpska dienen zu müssen.
Sicherlich, sowohl die Demonstrationen als auch die Desertionen richten sich aktuell nicht in erster Linie gegen die Vertreibung der Kosovaren, sondern sind ein Protest gegen Miloevic' Politik in ganz Jugoslawien. Aber immerhin zeigen sie nicht erst seit gestern, daß es im „serbischen Lager“ tiefe Risse gibt. Diese nicht zu nutzen, nur auf die Überzeugungskraft der Nato-Bomben und Verhandlungen mit Miloevic zu setzen, ist ein echtes Versäumnis des Westens. Es ist allerhöchste Zeit, daß die Politiker der Nato-Staaten, vor allem der EU, den serbischen Wehrpflichtigen ein attraktives Angebot zur Desertion machen. Auch so, und nicht nur mit Cluster-Bomben, läßt sich Miloevic besiegen. Rüdiger Rossig
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen